In the same boat – Norwegen’s Plastikmüll geht es an den Kragen | Polarjournal
Plastik zersetzt sich viel langsamer als der restliche Müll. Man geht heute davon aus, dass eine PET Flasche bis zu 450 Jahre braucht, bis sie von Wind und Wellen zermahlen ist. Aber dann stellt sie als Mikroplastik noch eine Gefahr für unsere Umwelt dar. Foto: © Stefan Leimer

Schätzungen gehen von bis zu 142 Millionen Tonnen Müll aus, die sich in unseren Weltmeeren befinden. Fast 75% davon ist Kunststoff. Hochrechnungen zu Folge wird es im Jahr 2050 mehr Plastik als Fische in den Meeren geben! Und das Problem geht mittlerweile bis weit in die Arktis hinein. In Norwegen hat sich es sich die NGO in the same Boat zur Aufgabe gemacht, Norwegens Strände vom Plastik zu befreien.

Vom Jumbo-Jet Piloten zum Plastiksammler… Was wie ein unkontrollierter Absturz aussieht, war eine bewusste Entscheidung zu Gunsten unserer Umwelt.

Oyvind Olsen durchlief als junger Mann die militärische Ausbildung in der norwegischen Air Force zum Jetpiloten. Nachdem er 15 Jahre Armeejets geflogen ist und anschliessend als Instruktor in Texas Piloten ausgebildet hat, wechselte er in die Privatwirtschaft, wo er als Jumbo-Jet Pilot um die Welt flog. Bereits zu dieser Zeit lebte Oyvind auf seinem Segelboot, der North Eagle und durchkreuzte das Mittelmeer. Vom nächstgelegenen Flughafen flog er jeweils zu seinen Einsätzen und nach der Arbeit wieder zurück zu seiner Yacht.

Nach seiner Pensionierung machten seine Frau Ika und er sich auf den Weg nach Norwegen, wo sie in Kontakt mit in the same Boat kamen. Dabei handelt es sich um eine norwegische Nicht-Regierungsorganisation. In the same boat hat sich zum Ziel gesetzt, die norwegische Küste vom Plastikmüll innert fünf Jahren zu säubern. Nachdem sie auf Ihrer Reise entlang der Küste erleben mussten, wie vermüllt die Strände Norwegens sind, war es für das Ehepaar selbstverständlich, sich aktiv für in the same boat zu engagieren und so Teil der Lösung zu sein.

Flache Aluminiumboote ermöglichen es den Mitarbeitern von In the same Boat auch an abgelegensten Stränden an Land zu gehen. Der Plastikmüll wird an mehreren Depots gesammelt und dann mit dem Boot zurück zu einer zentralen Sammelstelle gebracht. Foto: © Stefan Leimer

In den 50er Jahren wurden ca. 1,5 Millionen Tonnen Plastik pro Jahr produziert. Heute sind es fast 400 Millionen Tonnen und der grosse Teil davon landet früher oder später als Abfall im Meer. Aktuelle Zahlen gehen davon aus, dass sich 80 Millionen Tonnen Plastik in den Weltmeeren angesammelt haben und jedes Jahr weitere 13 Millionen Tonnen Plastik dazukommen. Ein Teil davon sinkt in die Tiefen des Meeres und ist von dort nicht mehr zurückholbar. Aus den Augen, aus dem Sinn… Zumindest für uns Menschen! Denn für die Meeresbewohner stellt der Plastikmüll eine lebensbedrohende Gefahr dar. Sogenannte Geisternetze treiben jahrelang im Wasser und werden zu einer tödlichen Falle für Fische, Vögel und Meeressäuger. Dazu zwei eindrückliche Beispiele.

Als norwegische Forscher 2017 einen Cuvier-Schnabelwal entdecken, freuen sie sich zuerst über die Sensation. Denn diese Walart verirrt sich nicht oft in den hohen Norden. Da das Tier aber immer wieder in Richtung Land schwamm, musste schliesslich eingeschläfert werden. Bei der Obduktion machten die Forscher dann eine beängstigende Entdeckung. Sie fanden 30 Plastiktüten und jede Menge Mikroplastik im Magen des Wales.

2019 wurde an einem Strand im Nordwesten Schottlands ein junger Pottwal tot aufgefunden, der 100 Kilogramm Müll im Magen hatte. Gemäss SMASS (Scottish Marine Animal Stranding Scheme) hatte der junge Pottwal Reste von Fischernetzen, Seilen, Tüten, Verpackungsbänder und Plastikbecher im Magen. Bei einer solchen Menge muss man davon ausgehen, dass der Wal bei vollem Magen verhungert ist.

Plastik wird zur tödlichen Falle für Vögel. Sie halten es irrtümlich für Nahrung, es wird für den Nestbau verwendet oder sie verheddern sich bei der Suche nach Fressbarem und kommen nicht mehr frei. Foto: © Stefan Leimer

Die Forschungsstelle JRC der Europäischen Kommission hat herausgefunden, dass 84 Prozent des Mülls, der an den europäischen Stränden angespült wird, aus Plastik besteht. Rund die Hälfte davon war ursprünglich für den einmaligen Gebrauch bestimmt. Hochrechnungen zu Folge wird es im Jahr 2050 mehr Plastik als Fische in den Meeren geben!

Plastik, das eine geringere Dichte als Wasser hat, versinkt meist nicht im Meer, sondern wird von den Meeresströmungen über längere Distanzen transportiert und schließlich an einem Ort angesammelt. Mittlerweile gibt es künstliche Inseln, die ausschliesslich aus Plastikabfall bestehen. Die grösste von fünf solchen Meeresplastik-Ansammlungen ist der sog. Great Pacific Garbage Patch (GPGP) und liegt zwischen Hawaii und Kalifornien. Der GPGP ist etwa dreimal so gross wie Frankreich!

Abfall, der sich nicht in einer künstlichen Insel auf dem Meer wiederfindet oder absinkt, wird früher oder später an Land gespült, wo er sich entlang der Küste ansammelt. Besonders anfällig sind kleinere Buchten, in denen Wind und Strömung den Abfall immer wieder hineintreiben. Über die Jahre hinweg entstehen so regelrechte Müllkippen an entlegenen Orten, an denen weit und breit keine Zivilisation zu sehen ist.

Ganz egal, wo wir in Norwegen einen Strandspaziergang unternehmen, überall stossen wir auf Plastikmüll. So auch in der malerischen Bucht von Gryllefjord auf der Insel Senja, wo wir Oyvind und seine Frau Ika treffen. Mit Ihnen an Bord des Segelschiffes North Eagle sind ausserdem die beiden Freiwilligen Sirka aus Finnland und Ceferano aus Argentinien.

Plastik einsammeln ist harte Arbeit und die vier Freiwilligen schwitzen in ihren gummierten Fischerhosen und kniehohen Gummistiefel. Pro Tag und Person werden zwischen 150 und 250kg Plastik eingesammelt, abhängig vom Gelände, Wetter und Art des Abfalls. Gesammelt werden aus praktikablen Gründen nur die grösseren Plastikteile. Immer wieder muss das Messer zu Hilfe genommen werden, da sich insbesondere Fischernetze und Schiffstaue zwischen den Felsen verfangen. Würde auch kleinere Plastikstücke eingesammelt, kämen sie nicht vom Fleck. All diese kleinen Plastikteilchen werden in absehbarer Zeit zerrieben und als sog. Mikroplastik in der Natur enden, von wo sie nicht wieder entnommen werden können und teilweise in die Nahrungskette gelangen.

Der malerische Gryllefjord auf der Insel Senja ist besonders anfällig für Plastikabfall. Wind und Gezeiten treiben den Müll immer wieder ans Ende der Bucht, wo er sich über Jahre hinweg ablagert. Foto: © Stefan Leimer

Vor über einem Jahr veröffentlichte in the same Boat Zahlen betreffend den Ursprung des Plastikabfalls entlang der norwegischen Küste. Aus diesen Zahlen ging hervor, dass 77 Prozent des Mülls aus norwegischen Quellen stammt. Erstaunlich war in der Folge die zum Teil harsche Reaktion der Öffentlichkeit. Man sprach von fake news und in the same boat wurde vorgeworfen, eine Hetzkampagne zu lancieren. Darauf entschloss man sich, Sentio Research Norge AS mit einer Umfrage zu beauftragen, die herausfinden sollte, was die norwegische Bevölkerung über Littering weiss. Oder besser gesagt, zu wissen glaubt.

Die folgenden Zahlen zeigen, wie gross teilweise die Diskrepanz zwischen Tatsachen und angeblichem Wissen ist:

  • Norwegens Küste ist bis zu 8-mal verschmutzter als der Weltdurchschnitt, aber nur 13% denken, dass Norwegen stärker verschmutzt ist als der Weltdurchschnitt
  • 77% des Abfalls stammen aus norwegischen Quellen, aber nur 19% glauben, dass der Großteil des Abfalls aus Norwegen stammt.
  • Weniger als 1% des Abfalls entlang der norwegischen Küste stammt aus Asien und fernen Ländern. Aber bis zu 25 % glauben, dass der Abfall entlang der norwegischen Küste aus Asien und anderen Ländern stammt.
  • Ca. 80 % des Mülls entlang der norwegischen Küste stammt aus Fischerei und Aquakulturen, aber 70 % glauben, dass Plastiktüten und Lebensmittelverpackungen den größten Teil des Mülls ausmachen.

Einsammeln von Plastik erscheint wie die sprichwörtliche Sisyphusarbeit, so aufwendig, umfangreich und schwierig ist es. In the same boat lässt sich davon aber nicht abschrecken. Damit die Arbeit übersichtlicher wird, wurde die Küste Norwegens von Stavanger bis Kirkenes in 75 Sektoren eingeteilt. Das Ziel: bis 2025 müssen 20’000 Strände geräumt werden!

Aufgrund seiner Langlebigkeit entwickelt sich Plastik zu einer Plage für unseren Planeten. Vor allem Flüsse, Seen und Ozeane sind schon heute voll von Plastikmüll. Foto: © Stefan Leimer

Im vergangenen Jahr wurden ca. 400 Tonnen Abfall gesammelt und entsorgt. Für das aktuelle Jahr hat man sich 1.000 Tonnen Abfall vorgenommen. Umgerechnet CHF 1.50 kostet es, ein Kilogramm Plastikmüll zu sammeln und zu entsorgen.

Auch wenn ein Grossteil des Plastiks aus der Fischindustrie stammt, ist auch alles nur Erdenkliche aus unserer Wegwerfgesellschaft mitdabei. Auch eine Flaschenpost wird immer wieder mal gefunden. Oder eine Gummischlange, bei deren Entdeckung sich Ceferano furchtbar erschrocken hat.

Der Gummischlange begegnen wir übrigens am Abend wieder, als wir zum Abendessen auf der North Eagle erscheinen. Sie fristet nun ihr Dasein auf Deck der Segeljacht und schreckt dort erfolgreich die Möwen ab.

Nächste Folge: Was geschieht mit dem eingesammelten Plastikmüll

Link zur Webseite von in the same boat:

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