In diesem Jahr waren neben der Pandemie auch die Arktis ein Themenbrennpunkt in den Medien. Zahlreiche Meldungen über rekordhohe Temperaturen, unübliche Niederschläge, «Zombie»-Feuer und verschwindendes Meereis machten global Schlagzeilen. Die US-amerikanische National Oceanographic and Atmospheric Administration NOAA hat nun in ihrem jährlichen Bericht die wissenschaftlich gesicherten Beobachtungen und Messungen zusammengefasst und veröffentlicht.
Das Bild, dass die insgesamt 111 Wissenschaftler aus 12 Ländern in diesem Bericht zeigen, bezeichnen Experten als «dramatisch». In drei Abschnitten auf insgesamt 126 Seiten haben die Autorinnen und Autoren die in diesem Jahr erstellten Beobachtungen und Messungen aus Wetter, Klima, Land- und Ozeanbedingungen in der Arktis dokumentiert. Dabei bezogen sie sich auf fundierte und geprüfte Daten und nicht nur auf die einzelnen Beobachtungen. «Die Arctic Report Card zeigt weiterhin, wie die Auswirkungen des vom Menschen verursachten Klimawandels die Arktis in einen dramatisch anderen Zustand katapultieren als noch vor wenigen Jahrzehnten», erklärt der NOAA-Verwalter Dr. Rick Spinrad.
In dem Bericht zeigen die Expertinnen und Experten nicht nur Extremereignisse wie der erstmalig verzeichnete Regen mitten auf dem grönländischen Eisschild oder die von der WMO bestätigten Rekordtemperatur von rund 38°C in der russischen Arktis, sondern auch die Resultate von Langzeitbeobachtungen wie dem Verlust des mehrjährigen Meereises im Arktischen Ozean, die schneefreien Perioden in der gesamten eurasischen Arktis im Sommer oder den massiven Eisverlust der grönländischen Gletscher. «Die Trends sind alarmierend und unbestreitbar» meint Dr. Spinard dazu. «Wir stehen vor einem entscheidenden Moment. Wir müssen Massnahmen ergreifen, um der Klimakrise zu begegnen.»
Auch andere, weniger rasch ersichtliche Effekte sind im Bericht nun eingegangen. Beispielsweise der erhöhte Schiffsverkehr entlang der arktischen Routen und den daraus resultierenden erhöhten Lärmemissionen für Meeressäuger und Fische, die Verschmutzung durch Partikel, Schiffsabfälle und Treibstoff. Oder die durch den erhöhten Kohlendioxideintrag stärkere Versauerung des Arktischen Ozeans und die damit einhergehenden Schädigungen des Planktons, das an Anfang des Nahrungsnetzes steht. Dies ist eine tiefgreifende Veränderung, denn sie beeinflusst nicht nur die tierischen Bewohner der Arktis, sondern auch die menschlichen Einwohner, die vom Fischfang und der Jagd leben. «Es geht nicht nur um Eisbären, sondern um echte Menschen,» erklärt Rick Thoman von der Universität Alaska, Fairbanks, gegenüber der Zeitung «The Washington Post». «Diese Veränderungen wirken auf Menschen und deren Leben und Lebensgrundlage von «Was gibt es heute zu essen» bis auf eine internationale Ebene hinauf.» Die Nahrungsmittelversorgung in den arktischen Regionen ist bereits durch die Pandemie stark negativ beeinflusst worden und wird durch eine Reduzierung der Fischerei- und Jagdmöglichkeiten durch Klimawandeleffekte noch weiter verstärkt.
Das Bild, das durch den neuen Bericht der NOAA gezeichnet wird, ist sehr düster für die Arktis und damit auch für weite Teile der Erde. Denn in der nördlichen Polarregion entstehen Wetter- und Klimaereignisse, die auch in den weiter südlichen Erdteilen gespürt werden, sogar bis in die Antarktis. Und es könnte noch schlimmer kommen, denn die in Glasgow am Klimagipfel getroffenen Entscheidungen werden von zahlreichen Umweltverbänden, Ländern und Experten als ungenügend kritisiert. Auch ein vor einigen Tagen im UNO-Sicherheitsrat eingebrachte Klimaresolution wurde von drei Ländern blockiert und damit vom Tisch gebracht. Viele Experten sind der Meinung, dass nicht mehr die Zeit für diplomatische Spielchen und leere Versprechungen ist, da sich das Fenster für greifende Gegenmassnahmen rasch schliesst.
Verschiedene wissenschaftliche Artikel und Berichte zeigen, dass aber immer noch die Möglichkeit besteht, die massivsten Auswirkungen der Veränderungen in der Arktis abzufedern. «Die arktische Geschichte ist eine menschliche Geschichte», meint Twila Moon, Arktiswissenschaftlerin beim National Snow and Ice Data Center und eine von drei Herausgebern der Arctic Report Card 2021. «Wir alle haben eine Rolle zu spielen, um die bestmöglichen Ergebnisse für die Region, ihre Bewohner und alle Bürger der Welt zu erzielen, die von der Arktis als einer kritischen Komponente unseres Erdsystems abhängig sind.» Allein der Wille dazu ist notwendig.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal
Link zur vollständigen Arctic Report Card 2021 im pdf-Format