Ein internationales Wissenschaftlerteam hat letzte Woche die finalen Koordinaten für die Bohrung nach dem ältesten Eis der Antarktis bestimmt und begonnen, das Feldlager auf dem ostantarktischen Hochplateau zu errichten. Bei der Entscheidung, wo genau der Bohrer angesetzt werden soll, vertrauten die Forschenden auf hochauflösende Messdaten eines neuentwickelten Eisradars, welches sie Anfang Dezember dieses Jahres erstmals im Zielgebiet „Little Dome C“ eingesetzt hatten. In der Region rund 40 Kilometer westlich der französisch-italienischen Forschungsstation „Dome Concordia“ ist der ostantarktische Eispanzer etwa 2800 Meter dick. Das bis zu 1,5 Millionen Jahre alte Eis vermuten die Wissenschaftler in einer Tiefe von 2550 Metern. Ziel des europäischen Forschungsprojektes „Beyond EPICA“ ist es, einen Eisbohrkern zu gewinnen, der es erlaubt, die Klimageschichte der zurückliegenden 1,5 Millionen Jahre lückenlos zu rekonstruieren. Bisher waren nur 800.000 Jahre erschlossen. Die derzeit an der Bohrstelle durchgeführten Arbeiten dienen zunächst nur der Vorbereitung. Die eigentliche Tiefbohrung soll im antarktischen Sommer 2020/21 beginnen.
Messfahrten mit einem neuentwickelten Eisradar der US-amerikanischen Universität Alabama haben am Anfang dieses Monats die Suche nach dem ältesten Eis der Antarktis einen entscheidenden Schritt vorangebracht. „Wir konnten in einer deutlich höheren Auflösung als jemals zuvor in dieser Tiefe in den Ostantarktischen Eisschild schauen“, sagt Prof. Olaf Eisen, Glaziologe am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven (AWI).
Er und AWI-Kollege Prof. Frank Wilhelms gehören zu den führenden Wissenschaftlern im EU-Klimaforschungsprojekt „Beyond EPICA“, in welchem sich Forschende von 16 Institutionen aus zehn europäischen Ländern das Ziel gesetzt haben, einen Eisbohrkern zu gewinnen, dessen untere Eisschichten im Idealfall bis zu 1,5 Millionen Jahre alt sind. Dieser würde es den Forschenden erlauben, die Klimageschichte für den gleichen Zeitraum zu rekonstruieren – das heißt für die Entwicklungsphase der Menschen, seitdem sie Feuer nutzen. In dem Eis sind nämlich Luftbläschen aus jenem Jahrzehnt eingeschlossen als sich der damals gefallene Schnee zu Eis verdichtete.
„Wir haben die große Hoffnung, dass uns dieser Eisbohrkern die einmalige Gelegenheit bietet, umfassende Informationen zum globalen Klima und zur Treibhausgaskonzentration während des sogenannten mittleren Pleistozän-Überganges vor 900 000 bis 1,2 Millionen Jahren zu sammeln“ sagt Projektkoordinator Carlo Barbante vom italienischen Polarforschungsinstitut ISP-CNR. Damals verlängerte sich der Zyklus, in dem Kalt- und Warmzeiten aufeinanderfolgten, von 40 000 auf 100 000 Jahre. Die Gründe dafür sind jedoch bis heute unbekannt.
Bei ihren Vorerkundungen in der Ostantarktis hatten die Wissenschaftler bereits drei mögliche Bohrfelder in einem 10 Quadratkilometer großen Areal westlich der französisch-italienischen Forschungsstation „Dome Concordia“ identifiziert. Mithilfe der neuen Radardaten ist es ihnen nun aber gelungen, bis auf wenige Zehner-Meter genau zu überprüfen, ob das Eis an jenen drei Stellen auch noch in großer Tiefe so sauber geschichtet ist, dass eine Tiefenbohrung wertvolle Ergebnisse liefern kann. Außerdem halfen die neuen Messungen, das Alter der vielen übereinander gestapelten Eisschichten genauer einzugrenzen. Dafür nutzten die Wissenschaftler ein sogenanntes Alterstiefenmodell der Universität Grenoble.
Auf Basis dieser neuen Erkenntnisse bestimmte das Forscherteam anschließend die bestmögliche Bohrstelle. „Wir haben jetzt einen Ort ausgewählt, an dem das Eis in der Tiefe nicht nur das entsprechende Alter besitzt, sondern mit ziemlicher Sicherheit auch eine ungestörte Schichtung, die für den Erfolg des Projektes ganz entscheidend ist “, erläutert Olaf Eisen.
Dieser Ort, genannt „Little Dome C“, liegt etwa 40 Kilometer entfernt von der Forschungsstation „Dome Concordia“. Der ostantarktische Eispanzer ist hier rund 2800 Meter dick. Um an die 1,5 Millionen Jahre alte Eisschicht zu gelangen, wird das Team voraussichtlich bis in eine Tiefe von 2550 Metern vordringen müssen. Die konkreten Vorbereitungen dafür haben bereits am Montag dieser Woche begonnen. „Wir richten jetzt die Bohrstelle ein und werden zu Beginn der nächsten antarktischen Sommersaison ein etwa 150 Meter tiefes Loch bohren, welches anschließend mit Fiberglasrohren ausgekleidet wird. Dieses Mantelrohr nutzen wir dann als Ausgangspunkt für die eigentliche Tiefbohrung“, erläutert AWI-Glaziologe Frank Wilhelms.
Die Bohrung sowie die ersten anschließenden Analysen der im Eis eingeschlossenen Gase sollen in sechs Jahren abgeschlossen sein. So lange läuft die Förderung der Europäischen Kommission, die das Projekt „Beyond EPICA“ mit 11 Millionen Euro finanziert. Der Bohrung waren dreijährige Erkundungsarbeiten im Rahmen des Projektes „Beyond EPICA – Oldest Ice“ vorausgegangen, welche das AWI koordiniert hat. In dieser Zeit hatten die Wissenschaftler den Ostantarktischen Eisschild vor allem vom Flugzeug aus vermessen und durch weiträumige Arbeiten am Boden ergänzt.
Der Titel des aktuellen Bohrprojektes leitet sich übrigens von einer Eiskernbohrung ab, bei der ein europäisches Konsortium zwischen 1996 und 2004 genau 3270 Meter tief in den Ostantarktischen Eisschild gebohrt hatte (EPICA – European Project for Ice Coring in Antarctica). Einer der zwei dabei gewonnene Eisbohrkern gab umfangreiche Informationen zur Klimageschichte der zurückliegenden 800 000 Jahre preis. Im neuen Projekt „Beyond EPICA“ wollen die Forschenden nun weit über diese Grenze hinausgehen.
Außer dem italienischen Polarforschungsinstitut und dem deutschen Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung sind folgende Hauptpartner an dem Projekt beteiligt:
- British Antarctic Survey, Großbritannien
- Institut polaire français Paul-Emile Victor (IPEV), Frankreich
- Centre national de la recherche scientifique (CNRS), Frankreich
- Agenzia nazionale per le nuove tecnologie, l’energia e lo sviluppo economico sostenibile (ENEA), Italien
- Norsk Polarinstitutt (NPI), Norwegen
- Universität Stockholm, Schweden
- Universität Bern, Schweiz
- Universität Kopenhagen, Dänemark
- Universität Brüssel, Belgien
Quelle: Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung