Die russische Arktisregion Arkhangelsk und der östlich gelegene Autonome Bezirk der Nenzen kämpfen beide mit den wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie. Besonders der kleinere Bezirk der Nenzen liegt finanziell am Boden, seit sich der Ölpreis im freien Fall befindet. Daher hatten die beiden Gouverneure der Gebiete vor knapp einer Woche eine Absichtserklärung zur Fusion unterzeichnet. Doch die Pläne stossen auf wenig Gegenliebe, besonders bei den Nenzen.
Viele der knapp 44’000 Einwohner des rund dreimal kleineren Autonomen Kreis der Nenzen (AKN) stehen der Idee einer Fusion mit dem grösseren Nachbarn sehr skeptisch gegenüber. Denn obwohl der Kreis flächen- und Einwohnermässig viel kleiner ist, steht er wirtschaftlich besser da. Die Öl- und Gasförderungen entlang der Küste haben aus der Region eine kleine regionale Wirtschaftsmacht gemacht. Der Verdienstunterschied zu den rund 1.2 Millionen Einwohnern der Region Arkhangelsk beträgt beinahe das Doppelte. Daher glauben viele Nenzen, dass die Fusion sich wirtschaftlich noch negativer auswirken wird. Die beiden Gouverneure widersprechen dieser Aussage und argumentieren beide, dass die ökonomische Realität durch den Ölpreiszerfall ein Zusammengehen der beiden Regionen unabdingbar macht, besonders für den Kreis der Nenzen.
Auch die Vertreter der indigenen Nenzen-Bevölkerung, die zwar nur 13 Prozent der Gesamteinwohnerzahl ausmacht, warnen vor dem Zusammenschluss der beiden Regionen. In einem offenen Brief an Gouverneur Bezdydny widersprechen sie dem Bild der Regionalverwaltung über die wirtschaftliche Situation des Kreises und nennen die Pläne der Regierung «einen Schock für die Bevölkerung» und dass sie zu Empörung und Verbitterung geführt hätten. Sie führen weiter aus, dass ein ähnliches Projekt vor 20 Jahren keine Chance gehabt hatte und auch jetzt schlecht für die Region sei. «Im Angesicht der Bedeutung dieser Frage, ihrer Risiken und Konsequenzen, halten wir es für nicht wünschenswert, weitere Experimente mit der AKN zu unternehmen, die nicht zu einer verbesserten sozialen und wirtschaftlichen Situation der Bevölkerung führen», heisst es abschliessend im Brief.
Weiteren Zündstoff in der Diskussion gab die Idee einer Arbeitsgruppe der Regionalverwaltung der AKN, die Republik Komi in die Fusionspläne einzubauen. «Die drei nördlichen Regionen sind historisch, geographisch und infrastrukturell verbunden», erklärt der Leiter der Arbeitsgruppe Matvey Chuprov. «Es würde uns erlauben, Grossprojekte einfacher umzusetzen und die Regionen durch unsere gemeinsamen Interessen näherzubringen.» Die südöstlich von Arkhangelsk liegende Republik ist bevölkerungstechnisch ähnlich gross wie das Gebiet Arkhangelsk, jedoch rund ein Drittel kleiner. Wirtschaftlich ist auch die Republik stärker aufgrund der Bodenschätze wie Gold, Öl und Holz. Innerhalb der Russischen Föderation geniesst die Republik eine weitgehende Autonomie, anders als die beiden anderen Regionen. Doch der Regierungschef, Wladimir Uyba, erteilte der Idee umgehend eine Abfuhr. «Ich bin gegen eine solche schnelle Aktion», erklärte er gegenüber den Medien. Seiner Meinung nach muss eine solche Initiative vom Volk gewünscht sein und auf einer gemeinsamen Entscheidung aller Menschen in den Regionen basieren. Dies ist aber offensichtlich nicht der Fall, zumindest nicht bei den Nenzen. Die Menschen im Autonomen Kreis der Nenzen haben aber die Gelegenheit, am 13. September an der Urne diese Pläne tatsächlich wieder bachab zu schicken. Auch eine Erklärung von der Zentralregierung in Moskau ist noch ausstehend.
Quelle: The Independent Barents Observer / Russian Broadcast Corp. / TASS