Kanadische Inuit-Frauen und -Mädchen werden überdurchschnittlich häufig Opfer von Gewalt, weshalb zahlreiche indigene Einwohner und Gruppen eine Untersuchung forderten. Im Anschluss sollte ein Aktionsplan erarbeitet werden, wie die weibliche Inuit-Bevölkerung besser geschützt werden kann. Doch der lässt auf sich warten. Die Organisation, die Inuit-Frauen in Kanada vertritt, zeigt sich enttäuscht über die Ankündigung der Regierung in dieser Woche, dass sie den Aktionsplan, der aus der Nationalen Untersuchung über vermisste und ermordete indigene Frauen und Mädchen (MMIWG) hervorgehen soll, verzögert habe.
„Ein Jahr nach dem Abschlussbericht der MMIWG-Untersuchung ist es sehr enttäuschend zu erfahren, dass der Nationale Aktionsplan zur MMIWG bis Juni nicht fertig sein wird“, sagte Rebecca Kudloo, Präsidentin der Organisation «Pauktuutit Inuit Women of Canada», in einer Pressemitteilung am Donnerstag. „Die Familien der Opfer nahmen in gutem Glauben und unter großen Schmerzen an der Untersuchung teil. Sie müssen wissen, dass ihre Aussage gehört und geschätzt wurde und dass es zu positiven Veränderungen geführt hat.”
In dieser Woche sagte die kanadische Ministerin für Beziehungen zwischen dem Staat und der indigenen Bevölkerung, Carolyn Bennett, dass noch mehr an der Strategie gearbeitet werden müsse und dass COVID-19, obwohl virtuelle Treffen und Konsultationen im Gange seien, den Zeitplan der Regierung verzögert habe und dass man kein festes Datum für die Veröffentlichung des Aktionsplans mehr nennen könne.
Aber Kudloo sagt, dass die Pandemie Frauen noch stärker der Gefahr von Gewalt aussetzt und dass der Aktionsplan dringend erforderlich ist. „Die COVID-19-Pandemie hat die Inuit-Frauen und -Mädchen in Inuit Nunangat (die Bezeichnung für das Heimatland der Inuit in Kanada) und in städtischen Zentren einem noch größeren Risiko von Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt. Es ist entscheidend, dass der Nationale Aktionsplan noch in diesem Jahr umgesetzt wird.”
Inuit-spezifische Empfehlungen
Kanadas Nationale Untersuchung über vermisste und ermordete indigene Frauen und Mädchen (MMWIG) wurde von Premierminister Justin Trudeau im Jahr 2015 angekündigt, nachdem zahlreiche indigene Führer, Gruppen und Organisationen dazu aufgerufen hatten, die hohen Gewaltraten gegen indigene Frauen in Kanada zu untersuchen.
Indigene Frauen machen 4 Prozent der weiblichen Bevölkerung Kanadas aus, aber 16 Prozent aller Frauen, die zwischen 1980 und 2012 in Kanada ermordet wurden, waren nach Angaben der Regierung indigene Frauen.
Das Mandat der Untersuchung bestand darin, die systemischen Ursachen der Gewalt gegen indigene Frauen und Mädchen zu untersuchen und darüber Bericht zu erstatten sowie darüber, wie die Ermittlungen von den Behörden durchgeführt werden. Die Untersuchung umfasste auch die Gewalt gegen die Gemeinschaft der Zwei-Geister, Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Queers, Unentschlossene, Intersexuelle und Asexuelle (abgekürzt 2SLGBTQQIA). Die Untersuchung war ein gewaltiges Unterfangen, das sich auf alle Regionen des Landes erstreckte.
Im Rahmen derer wurden 15 öffentliche Gemeindeanhörungen durchgeführt und jedes der nördlichen Territorien Kanadas besucht: Yukon im Nordwesten, die Northwest Territories und Kanadas östliches arktisches Territorium Nunavut. Die MMWIG-Beauftragten hörten 1484 Zeugenaussagen von Familien und Überlebenden während dieses Untersuchungszeitraums. Es fanden auch getrennte Anhörungen statt, um Aussagen von Personen zu hören, die in Institutionen arbeiten, sowie von Ältesten, Akademikern, Spezialisten und Mitarbeitern mit direktem Kontakt zu betroffenen Personen.
Als der Bericht am 3. Juni 2019 veröffentlicht wurde, gab es 46 Inuit-spezifische Empfehlungen, die als «Rufe nach Gerechtigkeit» bezeichnet wurden und die alles von der Notwendigkeit besserer psychosozialer Dienste in der Arktis bis hin zur Notwendigkeit dringenden Handelns bei der Wohnungskrise umfassten. Der Aktionsplan zur Umsetzung der Empfehlungen sollte am 3. Juni 2020, dem einjährigen Jahrestag des Berichts, veröffentlicht werden.
Die Native Women’s Association of Canada (NWAC) bezeichnet die Verzögerung als erschreckend
„Die Native Women’s Association of Canada (NWAC) ist entsetzt darüber, dass die Bundesregierung keinen Zeitplan für die Veröffentlichung eines nationalen Aktionsplans zur Bekämpfung der anhaltenden Gewalt gegen indigene Frauen hat“, hieß es am Mittwoch in einer Pressemitteilung.
„Nach einem Jahr, in dem es so gut wie keine Konsultationen mit den Betroffenen gegeben hat, gab die Ministerin über die Medien bekannt, dass im Juni kein Aktionsplan vorgelegt werden würde und es keinen Zeitplan für die Erstellung eines solchen Dokuments gibt.”
Die Pandemie könne nicht als Entschuldigung dienen, so Lorraine Whitman, Präsidentin der NWAC. „Statt eines nationalen Aktionsplans wurde den indigenen Frauen ein Plan von Aktionslosigkeit gegeben“, sagte Whitman. „Indigene Frauen sterben und verschwinden immer noch in Kanada, Familien werden immer noch im Dunkeln gelassen über den Verlust ihrer Angehörigen. Die Zeit zum Handeln ist jetzt und nicht erst in Monaten oder gar Jahren. Wir hoffen, dass die indigenen Frauen und Mädchen Kanadas nicht aufgegeben worden sind.”
Quelle: Eilís Quinn/Eye on the Arctic