Impfung von 550.000 Rentieren in Sibirien | Polarjournal
Die traditionell lebenden Jamal-Nenzen sind abhängig von ihren Rentieren. Innerhalb Russlands verkaufen sie das Fleisch, die Geweihe landen als vermeintliches Potenzmittel auf chinesischen Märkten. Foto: PW PIX

Nach einem schweren Ausbruch von Milzbrand in der größten Rentierpopulation der Welt in Nordsibirien im Sommer 2016 wurde die Gesamtanzahl der Tiere deutlich verringert. Um neue Ausbrüche im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen sicher zu verhindern, werden die Herden jedes Jahr gegen das Anthrax-Bakterium geimpft. In diesem Jahr sollen bis zu 550.000 Rentiere die Impfung erhalten.

Der Milzbranderreger soll von einem Rentier stammen, das sich vor über 70 Jahren infizierte und dessen Kadaver im Permafrostboden eingefroren war. Jedenfalls bis zur Hitzewelle im Jahr 2016. Mit dem tauenden Permafrost wurde der Kadaver freigelegt und Sporen des Erregers gelangten in Gewässer, den Boden und somit in die Nahrungskette. Überall in der Region gibt es Stellen, an denen die Rentierzüchter in der Vergangenheit  tote Tiere vergraben haben, weshalb Experten erwarten, dass in Zukunft immer wieder  Anthrax-Bakterien oder andere Erreger freigesetzt werden.

Damals wurden bei einer Massenevakuierung die Rentierzüchter und ihre Kinder rasch aus den exponierten Gebieten gebracht und das russische Verteidigungsministerium richtete eine spezielle Notfall-Einsatztruppe ein, die die infizierten Gebiete mit 30 Tonnen biologisch aktiver Substanzen dekontaminieren sollte.
Milzbrandinfektionen sind tödlich, wenn sie nicht mit Antibiotika behandelt werden. Ein 12jähriger Junge starb bei dem Ausbruch in 2016, 115 Menschen mussten im Krankenhaus behandelt werden. Mehr als 2.300 infizierte Rentiere verendeten, die das Militär verbrannte, um die Ausbreitung zu stoppen.

Auf der Jamal-Halbinsel befinden sich einige der größten Erdgasvorkommen weltweit, die durch den staatlichen Konzern Gazprom gefördert werden. Durch die Erschließung schrumpft für die Rentierzüchter und ihre Tiere der Lebensraum. Karte: Google

Im Rahmen des daraufhin eingeführten regionalen Impfprogramms sollen auch in diesem Jahr die Rentierherden mit insgesamt bis zu 550.000 Tieren vorsorglich geimpft werden. Bereits im Winter begannen die Tierärzte mit ihrer Arbeit und die verbleibenden Tiere werden die Impfung bis Ende September erhalten. Gegenwärtig sind 19 Impfteams in der ausgedehnten Tundra im Einsatz.

Lebensraumverlust durch Öl- und Gasförderung
Das Klimawandel-bedingte Auftauen des Permafrosts ist nicht der einzige Faktor, der das Aufkommen von Krankheiten begünstigt. Seit sich die Erdöl- und Erdgasindustrie in der Jamal-Region ausbreitet, wird die indigene Bevölkerung – die Jamal-Nenzen – mit ihren großen Rentierherden in stetig schrumpfende Gebiete zurückgedrängt. 

Die Jamal-Nenzen sind Nomaden – im Winter ziehen sie Richtung Süden bis zur Wald-Tundra, um ausreichend Holz zum Heizen zu haben, und im Sommer treiben sie die Tiere nach Norden, wo der Boden weniger stark angetaut ist und die Temperaturen für die Rentiere angenehmer sind. Ihre großen Wanderungen werden durch die Ausbreitung der Öl- und Gasindustrie allerdings immer stärker eingeschränkt. Foto: Sergej Karpukhin

Die traditionelle Lebensweise der Jamal-Nenzen, die auf Rentierhaltung, Jagd und Fischfang basiert, ist durch die Folgen der Öl- und Gasförderung schwer beeinträchtigt, da die Industrie die Weidegebiete im großen Stil zerstört (u.a. durch Verschmutzung) oder zerschneidet. Daher können sie ihre großen Herden nur auf kleinen, intakteren Gebieten halten, die folglich häufig überweidet sind. Und je dichter die Tiere zusammenleben, umso schneller verbreiten sich Krankheiten innerhalb der Population. Zugleich verarmt die Vegetation der Tundra durch die starke Beweidung und die Landschaft verwandelt sich nach der Aussage von Wissenschaftlern in eine Wüste.

Die regionalen Behörden ordneten daher nach dem Ausbruch in 2016 an, die Zahl der Rentiere, die damals bei über 700.000 Tieren lag, auf ein ökologisch nachhaltiges Niveau zu reduzieren.

Julia Hager, PolarJournal

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