Solo zum Südpol – „Not bad for a girl!“ | Polarjournal
In 59 Tagen schaffte Anja Blacha etwas, dass viele vor ihr versucht hatten und gescheitert waren: Ohne äussere Unterstützung, ohne zusätzliche Hilfsmittel und ganz auf sich allein gestellt lief die deutsche Extremsportlerin vom Weddellmeer zum Südpol. Damit konnte sie sich einen Eintrag ins Guiness-Buch der Weltrekorde sichern. Bild: Anja Blacha via Basler Kantonalbank

Expeditionen zum Südpol gehören auch 109 Jahre nach Amundsens erster Ankunft zu den grossen Abenteuern der Welt. Zahlreiche Menschen haben seit 1912 versucht, den südlichsten Punkt unseres Globus zu erreichen, darunter auch schillernde Persönlichkeiten wie Sir Ernest Shackleton. Doch nur wenigen war es vergönnt, aus eigener Kraft diesen Punkt tatsächlich mit eigenen Augen zu sehen. Zu den grössten Herausforderungen gehört es, allein, ohne Nahrungsdepots und ohne Hilfsmittel ausser Skis den Südpol zu erreichen. Die deutsche Extremsportlerin Anja Blacha schaffte dieses Kunststück 2020 in 58 Tagen vom Weddellmeer zum Südpol. Im Gespräch mit Sandro Merino von der Basler Kantonalbank erzählt sie von den Risiken, den Anstrengungen und warum sie am Ende mit „Not bad for a girl!“ Furore gemacht hatte. Der Artikel erschien auch im Magazin der BKB.

Bis vor wenigen Jahren stieg Anja Blacha höchstens mal zum Vergnügen auf einen Berg. Heute hält die gebürtige Bielefelderin, die in Zürich lebt, bereits mehrere Extremsport-Rekorde. Die bisherige Krönung ihrer noch jungen Karriere schaffte Blacha mit der Solo-Expedition zum Südpol, den sie nach einem unglaublich strapaziösen, 58 Tage langen Marsch auf Skiern durch Schnee und Eis erreichte. Ihr Leistungsausweis ist umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass sie erst 2013 mit dem Bergsteigen anfing: «Im Peru-Urlaub trekkte ich auf den Machu Picchu. Als ich zum ersten Mal im Schlafsack im Zelt übernachtet habe, fing ich Feuer für die Idee eines aktiven Urlaubs als Ausgleich zum Alltag im Büro», erinnert sie sich. Als nächstes knöpfte sie sich 2015 den Aconcagua in Argentinien vor, den höchsten Berg Südamerikas. «Auf jeder Tour suche ich Inspiration für Neues, und so führt das eine zum anderen», so Blacha.

Anja Blacha ist 30 Jahre alt und stammt aus Bielefeld. Erst mit 23 kam sie zum Bergsteigen und war die jüngste Deutsche auf den „Seven Summits“, den sieben höchsten Bergen der Welt. Als erste deutsche Frau erklomm sie den K2 und war die erste Frau, die alleine, ohne Unterstützung und Hilfsmittel den Südpol erreicht hat. Heute lebt sie in Zürich und ist u.a. als Motivationstrainerin und Vortragsrednerin beschäftigt. Bild: Anja Blacha via BKB

Selbst als sie die «Seven Summits» geschafft hatte – die Besteigung der höchsten Gipfel auf allen sieben Kontinenten – gab sich die ambitionierte Sportlerin nicht zufrieden. Ihre bisher grösste Leistung ist eine erfolgreiche Solo-Expedition zum Südpol. Völlig auf sich allein gestellt legte Blacha insgesamt 1381 Kilometer von der Gould Bay an der Küste der Antarktis bis zum Südpol zurück. Anfänglich zog sie dabei einen 110 Kilogramm schweren Schlitten mit Ausrüstung und Nahrung hinter sich her. «Wie kann man fast zwei Monate alleine unterwegs sein? Wie schafft man so etwas, körperlich und mental?», will Sandro Merino von der 30-jährigen Deutschen wissen. «Am Anfang wusste ich nicht, wie es sich anfühlen wird», blickt Blacha zurück, «aber es war ein magischer Moment. Die Antarktis hat mich mit strahlendem Sonnenschein empfangen». Als dann der erste Sturm aufkam, sei alles viel härter geworden.

Von der Gould Bay auf Berkner Island, einer Insel im Weddellmeer, lief Anja Blache 1’381 Kilometer weit bis zum Südpol in 58 Tagen. Damit stellte sie den Rekord für die längste Solo-Expedition ohne Hilfe und Unterstützung zum Südpol auf. Sie zog dabei ihren 110 Kilo wiegenden Schlitten selbst und hatte sämtliche Nahrung und Ausrüstung dabei. Bild: Michael Wenger via Google Earth

Mutterseelenallein in der endlosen Weite, bei extremer Kälte und schonungslos der Natur ausgesetzt, würden die Gedanken ständig ums nackte Überleben kreisen: «Navigieren, auf die Reserven achten, Kopfrechnen, ob ich im Schnitt bleibe. Davon hängt alles ab. Ich muss meine täglichen Kilometer schaffen, nicht zu viel Nahrung verbrauchen», erklärt Blacha. Eine Expedition in der Antarktis sei eine Reise ins Ungewisse, weil ab dem 85. Breitengrad kaum noch Kartenmaterial existiere: «Die Route, die ich gewählt habe, ist nur wenig dokumentiert. Die Navigation funktionierte über wenige Wegpunkte, die ich ins GPS eingespeichert hatte. Mit einem Kompass navigierte ich dann von einem Punkt zum nächsten». Besonders schwierig war die Orientierung während den wetterbedingten Whiteouts, wenn sich der Himmel nicht mehr vom Boden unterscheiden lässt.

Um ihren Rekord in Antarktika aufstellen zu können, tranierte Anja Blacha in Grönland und überquerte den grönländischen Eisschild von West nach Ost. Dies half ihr sehr, mit den schweren und eintönigen Bedingungen in Antarktika zurecht zu kommen. Denn die psychischen Grenzen musste die Extremsportlerin genauso überqueren wie die physischen. Bild: Anja Blacha

Solche Expeditionen sind naturgemäss mit hohen Risiken verbunden. Merino will deshalb von der jungen Frau wissen, wie sie damit umgeht. «Zunächst muss ich Risiken antizipieren und mir überlegen, was passieren könnte. Ausschlaggebend sind drei Faktoren: die Natur, die Ausrüstung und ich selber», so Blacha. Ich einem zweiten Schritt überlege sie sich, wie sie bestimmte Risiken mitigieren – also eindämmen – kann: «Nehme ich eine alternative Route? Nehme ich Reparaturmaterial oder redundante Ausrüstung mit?». Schliesslich gebe es auch die Risiken, die man weder antizipieren noch mitigieren könne: «Am K2 gibt es beispielsweise unterhalb des Gipfels einen Eisblock, von dem jeden Moment Stücke hinausbrechen können. Da muss ich vorbei und kontrollieren kann ich es nicht», so Blacha. In der strukturieren Risikoanalyse der Extremsportlerin sieht Merino Parallelen zur Finanzwelt: «Auch Anleger müssen Risiken antizipieren und ihr Portfolio diversifizieren. Und es gibt Dinge, die man einfach akzeptieren und aushalten muss».

Im Gespräch mit Sandro Merino, dem Leiter der Anlageberatung und Podcast-Gastgeber, erklärt Anja Blacha, dass sie mit ihrer Solo-Expedition auch anderen Frauen Mut machen will, sich ihrer eigenen Stärken und Vorteile bewusst zu werden. Bild: BKB

Als Blacha im Januar 2020 den Südpol erreichte, hisste sie nicht etwa eine Deutschland-Flagge, sondern einen Banner mit dem Spruch: «Not bad for a girl – almost impossible for everyone else». «Ich wollte mit einem Augenzwinkern die Botschaft rüberbringen, dass wir uns von Vorurteilen befreien müssen. Oft denkt man, dass Polar- oder Bergexpeditionen nur etwas für starke, männliche Abenteurer sind. Ich habe aber bewiesen, dass es für den Erfolg noch ganz andere Zutaten als Muskelkraft braucht», so Blacha. Ihre aussergewöhnlichen Leistungen erklärt sie mit mentaler Stärke, Disziplin, Beharrlichkeit, akribischer Planung und Sicherheitsbewusstsein. Einige physische Unterschiede würden sich sogar als Vorteil erweisen: «Dank meines geringeren Körpergewichts brauche ich etwa in der Höhe weniger Sauerstoff und verliere auf längeren Expeditionen weniger Gewicht».

«Auf einer Expedition ist man so stark wie nirgendwo sonst auf den Moment fokussiert und erfährt bewusst den Augenblick.»

Anja Blacha, Extremsportlerin

Als Ausdauer- und Extremsportlerin will Blacha anderen Frauen Mut machen: «Selbst klassische Männerdomänen sind für uns absolut erreichbar», hält sie fest. Gerade in der Welt des Sports hätten Athletinnen zu Unrecht noch immer mit Vorurteilen zu kämpfen. Und was gewinnt sie sonst aus all den Strapazen? «Auf einer Expedition ist man so stark wie nirgendwo sonst auf den Moment fokussiert und erfährt bewusst den Augenblick. Auch diese innere Reise ist wichtig. Man hat eine ganz andere Wahrnehmung als in unserer hektischen und so stark vernetzten Welt.» Und so treibt Anja Blacha letztlich die gleiche Sehnsucht an wie uns alle: die Suche nach dem letzten grossen Abenteuer.

Den ganzen Podcast hören: Anja Blacha im Gespräch mit Sandro Merino

Presseabteilung Basler Kantonalbank

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