Kaum Tourismussaison in der russischen Arktis | Polarjournal
Nachdem schon die vergangenen zwei Jahre fast keine Touristenfahrten zum Nordpol stattfinden konnten, dürften auch in diesem Jahr den Eisbären unterwegs kaum ein Schiff begegnen. Bild: Michael Wenger

Aus dem Regen in die Traufe fasst den momentanen Zustand der diesjährigen Tourismussaison in der Arktis wohl am besten zusammen. Kaum hatten die Arktisstaaten ihre COVID-Massnahmen gelockert oder ganz aufgehoben, marschierte Russland in der Ukraine ein und sorgte für das nächste Unheil. Die Folge: schwere wirtschaftliche Sanktionen, steigende Treibstoffpreise und geschlossene Grenzen. Dadurch haben Anbieter von Arktisreisen ihre Pläne neu organisieren müssen.

Franz-Josef-Land, Nowaja Semlija oder der Nordpol? Exotische Destinationen auf der Liste von arktischen Touristen, die in diesem Jahr endlich hätten angesteuert werden sollen, nachdem COVID und die Schutzmassnahmen der Tourismusindustrie in den vergangenen zwei Jahren die Hände gebunden hatte. Die Hoffnung von vielen Veranstaltern und Reedereien, in diesem Jahr Fahrten in diese noch wenig besuchten Regionen anbieten zu können, haben sich durch die Invasion Russlands zerschlagen. Damit fällt die Erschliessung neuer Routen und Angebot östlich von Svalbard ins Wasser und es müssen schnell Alternativen angeboten werden. Kein leichtes Unterfangen, denn die Zahl der Schiffe und Veranstalter, die sich ein Stück des Arktisreisen-Kuchens sichern wollen, ist trotz zweijähriger Pandemie-bedingter Pause nicht kleiner geworden. Doch zumindest für die Nordpolfahrt existiert eine Alternative in dieser Saison. Der französische Eisbrecher «Le Commandant Charcot» soll nach den Plänen von Besitzerfirma Ponant ab Svalbard den nördlichsten Punkt der Welt ansteuern.

Die Reisen zum geographischen Nordpol an Bord des russischen Eisbrechers «50 Years of Victory» waren ein Highlight und wurden von zwei Firmen angeboten. Durch das internationale Publikum war es auch eine völkerverbindende Angelegenheit. Dieses Jahr dürften höchstens russische und chinesische Touristen mit dem Schiff unterwegs sein. Bild: Michael Wenger

Statt Gäste auf die letzten Plätze zu buchen, müssen die Veranstalter und Schiffsbetreiber seit rund drei Wochen hektisch neue Fahrziele, neue Routen und Umbuchungen vornehmen. Das bestätigt auch Thomas Lennartz, Verkaufsleiter bei Quark Expeditions: «Aufgrund der Aktionen Russlands in der Ukraine mussten einige rasche Veränderungen vorgenommen werden und es ist wirklich sehr viel los im Moment.» Die kanadische Firma, die seit über 30 Jahren im Geschäft ist, bietet Nordpolreisen seit vielen Jahren an Bord des russischen Atomeisbrechers an und hatte für dieses Jahr grosse Pläne, tiefer in die russische Arktis vorzudringen. «Speziell für russische Reisen haben wir unsere zwei Nordpolreisen auf der 50 Years of Victory sowie zwei russische Abfahrten auf der Ocean Adventurer letzte Woche sofort storniert», erklärt er in einer Mail an PolarJournal. Das bedeutet, hunderte von Reisende zu informieren und Alternativen anzubieten. Auch die niederländische Reederei Oceanwide Expeditions, die mit insgesamt fünf Schiffen in die Arktissaison fahren wollte, muss ihre Pläne in der russischen Arktis begraben und hat seinen Tourenplan stark umgestellt, wie sie in einer E-Mail schreibt.

Weil in die östliche Richtung der Arktis nichts mehr geht, wenden sich die Veranstalter nach Westen. Svalbard, Grönland, Island und die nordamerikanische Arktis mit Nunavut und Alaska bieten sich als Alternativen an. Symbolbild: Michael Wenger

Die Problematik bei der Auswahl von Alternativen liegt nicht so sehr bei den Regionen als solches. Denn Svalbard, Grönland, Nunavut und Alaska bieten durchaus faszinierende und spannende Einblicke in die Arktis. Dieser Meinung ist auch Thomas Lennartz: «Da immer mehr Länder die Reisebeschränkungen aufheben, die Protokolle für die Rückkehr in den Hafen klarer werden und die lokalen Gemeinden in der Arktis darauf hinweisen, dass sie sich auf die Rückkehr der Kreuzfahrt freuen, sieht die Arktis als zuverlässiges Reiseziel für Buchungen und Reisen sehr vielversprechend für diesen Sommer aus.» Und die meisten Anbieter und Veranstalter haben auch ein diverses Portfolio bereits organisiert, so dass die meisten Gäste trotz der Ausfälle in den Genuss ihrer Reisen kommen dürften. «Wir operieren zu 100 Prozent in den übrigen Arktischen Regionen Svalbard, Grönland, Island und Kanada», bekräftigt Quark Expeditions.

Durch den Wegfall ganzer Fahrten müssen die Anbieter entscheiden, ob sie ihre Schiffe anders einsetzen oder ganz ausfallen lassen wollen. Keine einfache Entscheidung nach zwei Jahren COVID-bedingter Zwangspause. Symbolbild: Heiner Kubny

Das Problem, dem die Veranstalter und Reedereien nun gegenüberstehen, ist die Entscheidung, ob die für die russische Arktis eingeplanten Schiffe nun andere Orte ansteuern sollen oder sie ganz zu streichen und auf das nächste Jahr zu hoffen. Gerade Letzteres ist aufgrund der Ursache ein sehr riskantes und heikles Vorgehen. Neue Orte ansteuern wäre zwar eine Möglichkeit, aber bei der Menge an Anbietern und Schiffen dürfte dieser Weg zu einer logistischen Herausforderung sowohl für die Planung bei den Landestellen entlang der Küsten sein wie auch bei den Gemeinden, die im Laufe solcher Anlandungen besucht werden. Einen weiteren Faktor bilden die Gäste selbst, die sich für eine Reise in die russische Arktis entschieden hatten. Die Erfahrung zeigt, dass je exotischer die arktische Destination ist, desto erfahrener sind die Passagiere an Bord. Das bedeutet, dass Regionen wie Svalbard, Island oder Grönland für diese Gäste nur noch ein bedingt attraktives Reiseziel sein dürfte. Neue zusätzliche Aktivitäten oder spezifisch neue und unbekannte Orte könnten dies zwar ändern. Doch dafür müssen die entsprechenden Bewilligungen vorliegen, was normalerweise ein administratives und zeitaufwändiges Prozedere darstellt. Und Zeit ist kaum vorhanden, da die meisten Reisen in rund zwei Monaten beginnen werden. Einige der Branchenvertreter haben noch keine Entscheidung verkündet, wie sie die kommende Saison operieren werden.

Schiffe benötigen Treibstoff, um zu fahren (Symbolbild). Und die Preise dafür sind seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine und den Sanktionen stark angestiegen, was die Fahrten für die Reedereien verteuern dürfte. Bild: Michael Wenger

Ein anderes Problem, welches sich mit den Änderungen der Fahrpläne ergibt, ist die Frage nach dem Treibstoff. Denn dieser wird normalerweise in die Saisonplanung eingebaut, der Verbrauch relativ genau kalkuliert und in den Verkaufspreis eingerechnet. Dabei geht man zwar von gewissen Schwankungen bei den Treibstoffpreisen aus. Doch seit dem Angriff Russlands und den Sanktionen sind die Preise in den Himmel geschossen. Für die Veranstalter bedeutet das zu entscheiden, ob sie diese Anstiege an die Kunden weitergeben wollen bzw. können. Das ist in Anbetracht der Tatsache, dass man eben erst aus der Pandemie gekommen ist und den Markt wieder ankurbeln will, keine leichte Entscheidung. «Wir haben beschlossen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt Treibstoffzuschläge in den kommenden Saisons nicht an die Kunden weiterzugeben», erklärt Thomas Lennartz. Andere Anbieter werden in der kommenden Zeit ihre Entscheidungen ebenfalls kommunizieren müssen. Eines ist auf jeden Fall klar: die arktische Tourismusbranche blickt auch in diesem Jahr nicht einer einfachen Zeit entgegen.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

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