Moschusochsen erleiden Hirnschäden bei Kämpfen | Polarjournal
Wenn ein Moschusochse plötzlich auftaucht, kann dies durchaus Gefahrenpotential bergen. Denn die eigentlich scheuen Pflanzenfresser sind schnell und besitzen starke Hörner mit einer massiven Schädel und einer Hornplatte. Bild: Michael Wenger

Moschusochsen sind eine der bekanntesten arktischen Tierarten. Die bulligen Säugetiere mit ihrem zotteligen Fell faszinieren mit ihrer Anpassungsfähigkeit und ihrer Lebensweise die arktischen Bewohner und Touristen gleichermassen. Auch die Forschung interessiert sich sehr stark für die Tiere, die nicht zu den Rindern, sondern zu den Ziegenartigen gehören, trotz des Namens. Neben Biologen, Ökologen und Verhaltensforschern haben nun auch Mediziner die Tiere für sich entdeckt, genauer gesagt Neurologen. Denn eine Gruppe hat herausgefunden, dass die Tiere bei ihren Kämpfen verletzlicher sind als bisher angenommen.

Das Forschungsteam an der Icahn School of Medicine des Mount Sinai Hospital fand heraus, dass das heftige Kämpfen der Moschusochsen zu Hirnschädigungen führen, obwohl eine bis zu 7.5 cm dicke Schädeldecke und eine nochmals bis zu 10 cm dicke Hornplatte das Gehirn schützen sollte. «Wir haben gezeigt, dass Tiere, die regelmässig Kopfstösse ausführen, tatsächlich die Art von traumatischen Hirnverletzungen erleiden können, die auch bei Menschen beobachtet werden», erklärt die Erstautorin der Studie Dr. Nicole Ackermans, eine Neurowissenschaftlerin und Postdoc. Besonders der vordere Bereich des Gehirns, der präfrontale Cortex, wies ähnliche Mengen von Läsionen auf, wie sie bei Menschen vorkommen, die an Alzheimer oder einer chronischen Schädigung des Gehirns leiden. Zwar fanden die Forscherinnen und Forscher keine Hinweise darauf, dass die Tiere an den Schädigungen gestorben waren oder andere abnormale neuropathologische Schäden erlitten hatten. Trotzdem zeigt sich, dass die bisherige Annahme, dass die Schädelknochen und dicken Hornplatten das Gehirn vor Schädigungen schützen, nicht völlig stimmt.

An der Stirn eines Moschusochsenschädels zeigt sich die massive Hornplatte, die bis zu 10 cm dick sein kann. Zusammen mit dem massiven Schädelknochen sollte das Gehirn dahinter eigentlich geschützt sein. Bild: Michael Wenger

Die eigentliche Idee der Arbeit war es, mehr über traumatischen Hirnschädigungen bei Menschen herauszufinden. Bei ihren Recherchen entdeckten die Forscherinnen und Forscher, dass Paarhufer ein ähnlich gefaltetes Gehirn aufweisen, wie Menschen. Ausserdem schlagen die Tiere bei Kämpfen regelmässig die Schädel aneinander. Dadurch könnten, so die Meinung des Teams, Hirnschädigungen auftreten, wie sie bei Unfällen von Menschen auftreten. Eine entsprechende Untersuchung von Gehirnen von Paarhufern könnte daher detailliertere Informationen liefern als Versuche an Nagetieren, erklärt Dr. Patrick Hof, Professor für Neurowissenschaften am Icahn Mount Sinai und Leiter der Studie. «Wir dachten, dass die Untersuchung der Gehirne von rammenden Paarhufern ein besseres Modell zum Verständnis von traumatischen Hirnschädigungen beim Menschen liefern könnte.» Für ihre Ergebnisse untersuchte das Team die Gehirne von drei verstorbenen Moschusochsen und suchte nach spezifischen Markern, die bei Hirntraumata auftreten. Zu ihrer Überraschung fanden sie im äusseren Bereich des Vorderhirns zahlreiche Hinweise auf sogenannte Tau-Proteinknäule, die auch bei gewissen degenerativen Hirnerkrankungen und chronischen Hirnschädigungen auftreten.

Die dicke Hornplatte entsteht erst bei der Bildung der Hörner. Sowohl weibliche wie auch männliche Moschusochsen weisen diese Struktur auf, wenn sie ausgewachsen sind. Bei Weibchen ist die Dicke jedoch etwas reduziert. Bild: Michael Wenger

Einen interessanten Nebenfund entdeckte das Team beim Vergleich der Geschlechter der drei Tiere. Die beiden weiblichen Gehirne wiesen viel höhere Mengen an den Proteinknäule im untersuchten Bereich auf als das Männchen. Die Weibchen von Moschusochsen bilden auch eine dicke Hornplatte und einen dicken Schädelknochen, jedoch nicht in demselben Ausmass wie die Männchen. «Diese Studie hinterliess uns viele interessante Fragen, wie zum Beispiel: Warum schienen die weiblichen Moschusochsengehirne mehr Schaden zu haben als die männlichen? Liegt das an Unterschieden in der Schädelanatomie?», fragt sich Dr. Ackermans. Weitere Studien dazu könnten dann auch Möglichkeiten zeigen, wie traumatische Hirnschädigungen bei Menschen besser behandelt oder gemildert werden können, sind die Forscherinnen und Forscher überzeugt.

Wenn die männlichen Moschusochsen um ihren Harem kämpfen, rammen sich die Gegner gegenseitig mit ihren Schädeln. Das Gewicht und die Geschwindigkeit sorgen für einen massiven Aufprall, der weit in der Tundra zu hören ist. Normalerweise gibt ein schwächeres Tier bald auf und verschwindet wieder. Video: Animal Planet

Moschusochsen gehören zu den ziegenartigen Paarhufern und kämpfen, wie viele Steinböcke oder Dickhornschafe, indem sie den Gegner mit ihren Hörner kopfvoran angreifen. Bei den Fortpflanzungskämpfen rennen dabei zwei Männchen mit bis zu 50 km/h aufeinander zu und rammen sich gegenseitig. Da die Männchen durchschnittlich 300 Kilo wiegen, ist die Rammkraft beachtlich. Der Vorgang wird so lange wiederholt, bis einer der Kontrahenten aufgibt. Zeitlupenaufnahmen zeigen deutlich die Stärke der Schockwellen, die durch den Körper beim Aufprall gehen. Doch bisher glaubte man, dass das Gehirn bei den massiven Kämpfen keine Schädigungen erleiden. Die Studie des Teams der Icahn zeichnet zum ersten Mal ein anderes Bild und zeigt, dass diese ikonischen Tiere, die schon seit fast 1 Million Jahren die Weiten der arktischen Tundra durchstreifen, nicht nur durch den Klimawandel verletzlicher sind.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Ackermans, N.l. et al (2022) Acta Neuropathol E-Pub; Evidence of traumatic brain injury in headbutting bovids; https://doi.org/10.1007/s00401-022-02427-2

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