Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena hat mit Hilfe alter Genome von Menschen, prähistorischer Krankheitserreger und Stabil-Isotopen-Analysen die Bevölkerungsgeschichte der Baikalregion rekonstruiert und dabei die bisher älteste Verbindung zwischen den Einwohnern Sibiriens und den Indianern Nord- und Südamerikas entdeckt. Die in der Fachzeitschrift Cell publizierte Studie belegt auch die menschliche Mobilität und Konnektivität der Bewohner Eurasiens in der frühen Bronzezeit.
Seit mehr als 20.000 Jahren leben Menschen in der Umgebung des Baikalsees und haben dort vielfältige archäologische Spuren hinterlassen. Die Analyse alter Genome aus der Region hat mehrfache genetische Umwälzungen und Vermischungsereignisse offenbart. Dies deutet darauf hin, dass der Übergang zwischen steinzeitlichen Jägern und Sammlern und bronzezeitlichen Nomaden, durch menschliche Mobilität und komplexe kulturelle Interaktionen begleitet wurde. Die Art und der zeitliche Ablauf dieser Interaktionen sind jedoch noch weitgehend unbekannt.
Eine neue, in der Fachzeitschrift Cell publizierte Studie berichtet über die Ergebnisse der Analyse von 19 neu sequenzierten alten menschlichen Genomen aus der Baikalregion, darunter eines der ältesten Genome, die bislang aus dieser Region untersucht wurden. Die Arbeit wurde am Jenaer Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte durchgeführt und beleuchtet detailliert die Bevölkerungsgeschichte der Baikalregion und enthüllt genetische Verbindungen mit den Indianern Amerikas, die bis in die Steinzeit zurückreichen, sowie menschliche Verbindungen über ganz Eurasien hinweg während der frühen Bronzezeit.
Die älteste genetische Verbindung nach Amerika
„Diese Studie offenbart die älteste bislang bekannte Verbindung zwischen steinzeitlichen Bewohnern Sibiriens und den ersten Einwohnern Amerikas“, sagt He Yu, Erstautorin der Studie. „Wir glauben, dass diese Verbindung für zukünftige Studien zur Bevölkerungsgeschichte der Ureinwohner Amerikas sehr wichtig sein wird.
Bereits frühere Studien haben auf eine Verbindung zwischen der sibirischen und der amerikanischen Bevölkerung hingewiesen. Jedoch ist ein 14.000 Jahre altes Individuum, das im Rahmen dieser Studie analysiert wurde, das älteste bislang bekannte Individuum, das die genetische Mischung der amerikanischen Ureinwohner in sich trägt. Durch den Einsatz modernste Techniken der Molekularbiologie gelang es dem Forschungsteam, dieses Genom aus den Fragmenten eines Zahns zu rekonstruieren, der bereits 1976 an der Fundstelle Ust-Kyahta-3 ausgegraben wurde.
Dieses Individuum aus Südsibirien ist genetisch eng verwandt mit einem jüngeren Individuum aus dem Mesolithikum, das mehr als 3000 km weiter nordöstlich in Sibirien gefunden wurde. Beide Individuen weisen die gleiche genetische Mischung aus alten nordeurasischen (ANE) und nordostasiatischen (NEA) Abstammungen auf, die auch bei den ersten Bewohnern Amerikas gefunden wurde. Dieses Ergebnis lässt vermuten, dass die Abstammung aus der später die indigenen Völker in Nord- und Südamerika hervorgingen, viel weiter verbreitet war als bisher angenommen wurde. Es gibt Hinweise darauf, dass diese Population häufige Kontakte mit NEA-Populationen hatte, was zu unterschiedlichen genetischen Beimischungsverhältnissen in Zeit und Raum führte.
„Das steinzeitliche Genom vom Baikalsee stellt einen Referenzpunkt für die zukünftige Erforschung der genetischen Geschichte Asiens und Amerikas dar“, sagt Cosimo Posth, einer der Hauptautoren der Studie. Weitere genetische Befunde aus steinzeitlichen Bevölkerungsgruppen Sibiriens sind allerdings notwendig, um herauszufinden, wann und wo der Genpool der Ureinwohner Amerikas zusammenkam.
Ein Netz prähistorischer Verbindungen
Zusätzlich zu dieser transkontinentalen Verbindung stellt die Studie die Konnektivität innerhalb Eurasiens dar. Sie wurde sowohl anhand menschlicher, als auch anhand der Genome von Krankheitserregern sowie mittels Stabiler-Isotopenanalyse nachgewiesen. Durch die Kombination dieser Ergebnisse konnte das Forschungsteam eine detaillierte Beschreibung der Populationsgeschichte in der Baikalregion erstellen. Unter anderem konnten am Beginn der Bronzezeit, einer Epoche, die durch zunehmende soziale und technologische Komplexität gekennzeichnet ist, genetische Verbindungen zwischen der Baikalregion und Einwohnern der osteuropäischen Steppe nachgewiesen werden.
Der überraschende Fund von Yersinia pestis, dem Erreger der Pest, in zwei Individuen weist auf weitere weitreichende Kontakte hin. Obwohl postuliert wurde, dass die Ausbreitung von Y. pestis durch Migration von Menschen aus der Steppe begünstigt wurde, war das Erbgut der beiden mit dem Erreger identifizierten Individuen dieser Studie dem Erbgut nordostasiatischer Individuen ähnlich und wies keine Steppengene auf. Darüber hinaus sind die Stämme von Y. pestis, mit dem die beiden Individuen infiziert waren, am engsten mit einem Stamm verwandt, der bei einem Individuum aus der baltischen Region Nordosteuropas identifiziert wurde. Die Isotopenanalyse eines der infizierten Individuen ergab außerdem ein nicht lokales Signal, was darauf schließen lässt, dass dieses Individuum von außerhalb der Fundregion stammte. Dies ist ein weiterer Hinweis auf die hohe Mobilität dieser bronzezeitlichen Erreger und wahrscheinlich auch der Menschen dieser Zeit.
„Das Auftreten der alten Y. pestis-Stämme derart weit im Osten deutet vermutlich auf eine weiträumige Mobilität während der Bronzezeit hin“, sagt Maria Spyrou, Co-Autorin der Studie. Johannes Krause, Seniorautor der Studie, erklärt abschließend: „Mit der Generierung zusätzlicher Daten hoffen wir, in Zukunft die Ausbreitungsmuster dieser Form von Steinzeitpest detaillierter beschreiben zu können.“
Quelle: Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte