Neue Regelung auf Svalbard löst heftige Kritik aus | Polarjournal
Stein des Anstosses sind die Schneemobiltouren in bestimmte Regionen ausserhalb des Umkreises von Longyearbyen. Solche Touren sind bei den Touristen sehr beliebt, da sie einen tieferen Einblick in die Natur Svalbards erlauben, als nur um Longyearbyen herum, auch was Tiere anbelangt. Und da liegt das Problem. Bild: Michael Wenger

Eisbären, Robben, Polarfüchse und Rentiere sind nicht die einzigen Säugetiere, die sich Svalbard als Heimat ausgesucht haben. Rund 2’900 Einwohner, die meisten davon in Longyearbyen, leben ebenfalls auf dem von Norwegen verwalteten Archipel. Und während es früher Kohleabbau gewesen ist, hat mittlerweile der Tourismus den obersten Platz auf dem Wirtschaftspodest eingenommen. Die Verwaltung von Svalbard, die Sysselmannen, sind unter anderem dafür verantwortlich, dass die einzigartige Natur Svalbards so wenig wie möglich durch menschliche Aktivitäten gestört wird. Nun hat ein Beschluss der Verwaltung, Fjorde vor Verkehr zu schützen, für einige Frustrationen bei Bevölkerung und lokalen Touranbietern gesorgt.

Der Beschluss der Sysselmannen regelt den motorisierten Verkehr, also Schneemobile, in bestimmte Zielgebiete, die von Touristen und der Lokalbevölkerung genutzt wird. Die Verwaltung hat entschieden, ab dem 15. März bis zum 1. Juni drei Fjordbereiche für den motorisierten Verkehr zu sperren. Dabei handelt es sich um Bereiche im Tempelfjorden, Billefjorden und Van Mijenfjord, die zum einen nur via Routen über das Meereis zu erreichen sind und die im Bereich von Gletscherwänden liegen. Sämtlicher Schneemobilverkehr ist dort verboten. Ausnahmen können nur via Genehmigungsverfahren eingeholt werden. Das Verbot ist temporär, da ab dem 1. Juni die Fjorde kaum mehr gefroren sein werden und kaum mehr Schnee für Touren liegen wird.

In den geschlossenen Fjordbereichen sind häufig Ringelrobben, die auf dem Eis ausruhen oder sogar ihre Jungen in dem Zeitraum gebären. Das wiederum lockt jagende Eisbären an. Gemäss den Sysselmannen sind beide Arten tendenziell durch Lärm und Störungen gefährdet, was den Fortpflanzungserfolg und das Überleben bedrohten. Bild: Michael Wenger

«Die Sysselmannen hat diese Entscheidung getroffen, um eisabhängige Arten vor Störungen in diesen Gebieten zu schützen»

Kristin Heggelund, Leiterin Umweltschutz Sysselmannen pa Svalbard

Auf Anfrage von PolarJournal erklärt Kristin Heggelund, die Leiterin der Umweltschutzabteilung der Sysselmannen: «Die betroffenen Gebiete sind sehr wichtige Lebensräume für eisabhängige (Tier-)Arten. Gleichzeitig sind diese Bereiche im motorisierten Verkehr am stärksten frequentiert. Dies erhöht das Risiko einer Störung der Tierwelt. Sysselmannen hat diese Entscheidung getroffen, um eisabhängige Arten vor Störungen in diesen Gebieten zu schützen.» Dabei verweist sie auf eine Beurteilung, die vom norwegischen Polarinstitut im Auftrag der Sysselmannen erstellt worden war. Dort werden vor allem Ringelrobben aufgeführt, die in den betroffenen Gebieten zu dieser Jahreszeit ihre Nahrungs- und Fortpflanzungsplätze haben. Durch die Ringelrobben werden auch Eisbären angelockt, besonders ab April Mütter mit Jungtieren. Da gleichzeitig die Touristensaison ab März losgehen würde und auch lokale Einwohner in diese Gebiete, die nur mit Schneemobilen erreichbar sind, fahren, um zu jagen, fischen oder Erholung suchen, seien die Tiere durch den Lärm und die Menschen stark beeinträchtigt. Daher schliesse man diese zum Schutz der eisliebenden Arten. «Die Sysselmannen hat diese Entscheidung getroffen, um eisabhängige Arten vor Störungen in diesen Gebieten zu schützen», schreibt Kristin Heggelund in ihrer Antwort an uns.

Konkret dürfen keine motorisierten Fahrzeuge mehr in die hinteren Bereiche der drei Fjorde fahren. Fahrten im Billefjorden nach Pyramiden im vorderen Bereich müssen auf direktestem Weg über das Meereis führen und Stopps sind nur zur Kontrolle des Eises erlaubt. Was auf den ersten Blick als logisch, nachvollziehbar und vernünftig erscheint, hat aber bei zahlreichen Einwohnern Longyearbyens und bei der lokalen Tourismusbranche für teilweise rote Köpfe gesorgt. Denn der Entscheid bedeutet, dass auch Touranbieter, Jäger und Fischer, Hüttenbesitzer und sogar die Forscher nicht mehr einfach so in diese Gebiete fahren können. Genehmigungen für Ausnahmen müssen eingeholt werden und es wird beklagt, dass das Ausstellen einer solchen Genehmigung viel zu lange dauere. Andere Interessenvertreter sprechen von einer willkürlichen Entscheidung ohne die lokalen Betroffenen wirklich angehört zu haben. Hart ins Gericht geht man mit den Sysselmannen auch im Bereich des Konsultationsverfahrens. Die Verwaltung hatte zwar am 26. Januar einen Konsultationsaufruf gestartet, bei dem jeder die Möglichkeit habe, seine Sicht an die Verwaltung abzugeben. Doch das Ende dieses Aufrufs war bereits der 16. Februar und damit für viele zu kurz, um eine adäquate Beurteilung abliefern zu können. Ausserdem wird der Verwaltung vorgeworfen, sie hätten aus dem Bericht des norwegischen Polarinstitutes nur die für sie passenden Informationen herausgepickt und andere essentielle Aspekte einfach ausser Acht gelassen. Interessant dabei: Das Polarinstitut selbst hatte auch einen Brief während des Konsultationsverfahrens an die Sysselmannen geschickt. Darin machen sie auf eine Studie aus Alaska aufmerksam, die gezeigt hatte, dass sich Ringelrobben sehr schnell an die Geräusche von Motorschlitten gewöhnen würden. Diese Studie wurde in der ursprünglichen Beurteilung des Instituts nicht aufgeführt.

«Niemand will hier Massentourismus, da sind wir uns alle einig.»

Marcel Schütz, Spitzbergen Reisen AS
Ab März, wenn das Licht wieder ausreichend stark ist, beginnt in Longyearbyen die Tourismussaison. Zwar sind in diesem Jahr sicherlich weniger Gäste zu erwarten. Aber genau deswegen werde es auch weniger Verkehr geben und daher empfehle man einen Aufschub der Entscheidung und ein neues, besseres Konsultationsverfahren für einen langfristigen, von Allen getragenen Beschluss. So eine der Forderungen. Bild: Michael Wenger

Für den bereits durch COVID-Massnahmen arg gebeutelten Tourismussektor ist die Entscheidung der Sysselmannen ein schwerer Schlag. Viele der Anbieter sehen die Entscheidung als zu wenig dezidiert und nicht lösungsbezogen auf die Bedürfnisse des durch die COVID-Massnahmen arg gebeutelten Sektors ausgerichtet. Man befürchtet eine langfristige Einschränkung des Tourismus auf Svalbard. Denn der Verkehr wird mit der neuesten Entscheidung auf einige wenige Gebiete reduziert und kanalisiert. Damit wird der Druck dort auf die Natur steigen. Dies wiederum könnte dann weitere Schliessungen bewirken. Es entstehe so auch ungewollt Massentourismus, erklärt Marcel Schütz von Spitzbergen Reisen AS. «Wenn viele Touren auf wenige Fahrrouten beschränkt werden, erhöht sich dort die Zahl der Gäste. Dies schadet uns Anbietern von Kleingruppentouren besonders», sagt er weiter. «Denn unser Angebot mit mehrtägigen Touren zielt auf ein intensives Erleben der Natur Svalbards ab. Mit der Entscheidung der Sysselmannen können wir uns schwerer von den einfachen Tagestouren abheben. Wir könnten so gezwungen werden, einfachere Touren anzubieten und auf Quantität statt Qualität zu setzen. Damit würde Massentourismus gefördert. Dies will niemand hier, da sind wir uns alle einig.»

«Als zuständige Behörde für das Umweltmanagement auf Spitzbergen muss die Verwaltung jedoch die notwendigen Entscheidungen treffen, um die Wildtiere von Spitzbergen zu schützen.»

Kristin Heggelund, Leiterin Umweltschutz Sysselmannen pa Svalbard

Man wolle auch in Zukunft nachhaltig und umweltschonend operieren, sagt er und viele seiner Kollegen. Doch man wolle auch eine stärkere Berücksichtigung der Branche. Denn «sogar in den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung sind wirtschaftliches Wachstum, Industrie, Innovation und Infrastruktur miteinbezogen» erklärt Marcel Schütz weiter. «Und obwohl Norwegen diese Ziele massgeblich mitträgt, fehlen meines Erachtens diese Aspekte hier auf Svalbard.» Tatsächlich haben viele der Einsprachen auch konkrete Vorschläge geliefert, wie Umweltschutz und Tourismus miteinander funktionieren könnten. Besonders Visit Svalbard, der offizielle Branchenvertreter, hatte eine konkrete Lösung für diese Saison und schlug vor, danach noch einmal gemeinsam ein umfassendes Regulierungspaket auszuarbeiten, das von allen Seiten getragen werden könnte. Doch von diesen sind keine in die Entscheidung mit eingeflossen. «Sysselmannen ist sich bewusst, dass die aktuelle Situation für die Tourismusbranche eine Herausforderung darstellt», schreibt Kristin Heggelund in ihrer Antwort an uns. «Als zuständige Behörde für das Umweltmanagement auf Spitzbergen muss die Verwaltung jedoch die notwendigen Entscheidungen treffen, um die Wildtiere von Spitzbergen zu schützen.»

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

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