In fast allen Lebensräumen auf der Erde ist die Ökologie der Organismen vom Licht abhängig. Die Lebewesen passen ihre Aktivitäten an den Tagesrhythmus der Sonne an, um beispielsweise Nahrung und Partner zur Paarung zu finden, um zu wandern und um Fressfeinden aus dem Weg zu gehen. Doch woran orientieren sich die Tiere, die den polaren Winter in Dunkelheit überdauern müssen? Dieser Frage ist ein internationales Forscherteam nachgegangen und hat den zirkadianen Rhythmus des Arktischen Krills (Thysanoessa inermis) während der Polarnacht genau untersucht.
Während Organismen in niedrigeren Breiten einer zwar über das Jahr schwankenden, aber dennoch relativ gleichmäßigen Photoperiode ausgesetzt sind, erfahren die Lebewesen in den Polarregionen extreme Unterschiede im Jahresverlauf von ständiger Helligkeit im Sommer bis zu andauernder Dunkelheit im Winter. Doch auch während der Polarnacht ist es nicht völlig dunkel, neben dem Mondlicht und Polarlichtern gibt es eine leicht höhere Lichtintensität zur Mittagszeit, wenn die Sonne knapp unterhalb des Horizonts steht, die als Mittagsdämmerung bezeichnet wird. Die Meereisdecke und das Wasser selbst schwächen dieses ohnehin sehr schwache Licht für die Lebewesen im Arktischen Ozean zusätzlich ab.
In der aktuellen Studie, die in der allgemein zugänglichen Fachzeitschrift PLOS Biology veröffentlicht wurde, konnten die Wissenschaftler zeigen, dass der Arktische Krill im Polarwinter diese winzigen Veränderungen der Lichtintensität wahrnehmen und so seinen täglichen biologischen Rhythmus beibehalten kann. Die Forscher verfolgten die täglichen vertikalen Wanderungen des Arktischen Krills, der die Nahrungsgrundlage vieler großer Meerestiere ist, indem sie akustische Unterwasseraufnahmen nutzten. Die Lichtintensität zur Mittagszeit bestimmten sie während der Wintermonate von einem Lichtobservatorium an Land auf Svalbard und von einem Forschungsschiff auf See.
Laut der Messungen der Wissenschaftler war in der Mitte des arktischen Winters die Lichtverfügbarkeit zur Mittagszeit nur um das Zweifache höher als zur Mitternacht. Im Frühjahr und Herbst dagegen ist die Lichtintensität mittags um das Siebenfache höher. Dennoch behält der Krill seinen täglichen Rhythmus bei — in der Nacht wandert er zur Oberfläche, um zu fressen und zur Mittagsdämmerung zieht er sich in die Tiefe zurück, um Fressfeinden zu entgehen.
Um die visuelle Lichtempfindlichkeit des Krills zu messen, führte das Forscherteam Experimente im Labor durch. Anhand der sogenannten extrazellulären Elektroretinogramm-Aufzeichnung (ERG) untersuchten sie die Mechanismen, die den nächtlichen Wanderungen zugrunde liegen. Dafür setzten die Wissenschaftler frisch gefangenen Krill sehr schwachen Lichtblitzen aus. Ihre Ergebnisse zeigen, dass der Krill nachts lichtempfindlicher ist als tagsüber, was laut der Forscher daraufhin deutet, dass er in der Lage ist, seinen zirkadianen Rhythmus mit kleinen Schwankungen der externen Lichtreize zu synchronisieren.
Dank der erhöhten visuellen Empfindlichkeit in der Nacht ist der Arktische Krill in der Lage, sich an kleinste Schwankungen der Lichtintensität anzupassen und seine täglichen Verhaltensrhythmen während des polaren Winters beizubehalten. Solche Anpassungen könnten auch für die Regulierung der monatlichen und jährlichen Zyklen des Verhaltens und der Physiologie von Bedeutung sein, so die Autoren.
Jonathan Cohen, Assistenzprofessor an der School of Marine Science and Policy der University of Delaware und Hauptautor der Studie, erklärt weiter: «Wir fanden heraus, dass die Lichtumgebung während der hocharktischen Polarnacht ein komplexes Timing von ‚hell‘ und ‚dunkel‘ aufweist, da das Licht von der Sonne unterhalb des Horizonts, dem Mond und dem Polarlicht kommt. Dieses Licht ist zwar schwach und unterscheidet sich von der typischen Photoperiode in niedrigeren Breiten, aber wir zeigen, dass es ausreicht, um eine biologische Uhr im Krill zu stellen, was zeigt, dass dieses Tier einen der empfindlichsten biologischen Rhythmen hat, die bisher untersucht wurden.»
Julia Hager, PolarJournal