Seit vier Alben steht die Luzerner (Schweiz) Band Hanreti nun schon für reduzierte, feinfühlige Popmusik. Dabei zeigte die Band immer auch, dass sie offen ist für neue Einflüsse und neue Ideen, solange sie in ihrem Kern atmosphärisch dicht bleiben kann. Nun hat das Männerquintett ihr neues Album veröffentlicht, und es trifft sich im besten Sinne des Wortes wunderbar, dass «The Afterdark» just an jenem Tag erscheint, an dem Forscher die Entdeckung von Ernest Shackletons «Endurance» verkündeten – das Schiff sank 1915 im Weddell-Meer während der gleichnamigen Expedition.
Der Zufall ist deshalb erwähnenswert, weil Fotos von genau dieser Expedition Timo Keller, den Kopf und Komponisten von Hanreti, zum neuen Album inspirierten. Er habe an einer neuen Idee rumgetüftelt, sagt Timo, nämlich daran, Songs nicht vertikal «wie am Schnürchen» zu schreiben, sondern sozusagen horizontal, indem er quasi mehrere Musik-Schichten entwickelt und sie dann übereinanderlegt.
Die Idee der sogenannten Patterns ist nicht neu, der Zürcher Pianist Nick Bärtsch hat es mit der horizontalen Ausrichtung seiner Kompositionen zu Weltruhm in der Jazzszene geschafft. Aber im Pop ist das sehr ungewohnt. Und umso spannender. Zumal bei Hanreti Bilder der Antarktis mit ihren endlosen eisigen Weiten für alle acht Songs von «Afterdark» die tongebende Inspiration blieben. Entsprechend erzählen denn auch die Texte von der Einsamkeit der grossen Räume und dem überheblichen Anspruch der Menschen, diese Räume für sich beanspruchen zu wollen.
Musikalisch gesehen erinnern die stark von Synthesitzerklängen getragenen und rhythmisch konzis unterlegten Songs von «The Afterdark» immer wieder an frühere Synthie-Koryphäen wie Tangerine Dream, Alan Parsons Project und natürlich Vangelis, der 1996 selber den Soundtrack zum Film «Antarctica» komponierte. Die Stimmungen in den «Afterdark»-Songs erinnern zuweilen an diejenigen alter Pink-Floyd- oder Mike-Oldfield-Tracks: schön, dicht und (der Ausdruck passt hier) flächig.
«Afterdark» ist nicht nur Musik: Gleich lang wie das Album dauert ein Film, in dem sich die fünf Hanretis auf der Suche nach wissenschaftlichen Proben durch polare Landschaften bewegen. Dreidimensionale Animation, Virtual Reality und reale Bilder vermischen sich darin zu einem neuen Ganzen. Eine gleichermassen akustische und visuelle Abenteuerreise. Ernest Shackleton hätte Freude daran gehabt.
Christian Hug
Vorankündigung: Plattentaufe „The Afterdark“ am 1. April 2022 im Konzerthaus „Schüür“ in Luzern