Svalbard hat in vielerlei Hinsicht eine besondere Stellung sowohl in Norwegen wie auch in der Welt. Diese rührt vom Spitsbergenvertrag von 1920 her, in dem Norwegen zwar die Verwaltung des Archipels übertragen worden wurde und somit auch norwegisches Recht. Trotzdem laufen einige Dinge in Longyearbyen anders als auf dem norwegischen Festland. Das hängt nicht zuletzt mit zwei Dingen zusammen: der isolierten Lage des Archipels und des anderen Landes, das hier Fuss gefasst hat, nämlich Russland. Und beides hat nun Svalbard sehr turbulente Tage beschert.
Ein Pilotenstreik bei der SAS seit vergangenem Montag, 4. Juli und ein Streit zwischen Norwegen und Russland um einen Versorgungstransport in die russische Bergbausiedlung Barentsburg führten in der letzten Woche dazu, dass Svalbard und sein Hauptort Longyearbyen plötzlich ins Rampenlicht gerückt wurden. Während das Erstere tausende von Touristen aus aller Welt und die rund 2’400 Einwohner von Longyearbyen betraf, wurde aufgrund des Letzteren sogar Befürchtungen um eine Eskalation zwischen Russland und Norwegen laut. Und egal, welche der beiden Situationen man betrachtet, für Svalbard war beides schlecht.
Die Ankündigung, dass die Piloten der skandinavischen Airline SAS in einen Streik treten würde, war schon vor dem Stichtag 4. Juli bekannt. Aber den vielen Reiseveranstaltern, die ihre Gäste auf die Flüge ab Oslo und Tromsø gebucht hatten, blieben nicht viele Ausweichmöglichkeiten. Charterflüge sind nicht einfach mal schnell zu organisieren und die andere Fluggesellschaft, die Svalbard ansteuert, Norwegian, tut dies nur ein paar Mal pro Woche und deren Tickets zu erhalten war praktisch ausgeschlossen. Dadurch waren sowohl die einheimische Bevölkerung wie auch die vielen Touristen, die mit Schiffen um den Archipel gefahren waren, plötzlich auf Svalbard festgesessen. Und diejenigen Touristen, die eine Reise nach dem 4. Juli gebucht hatten und nicht mit Charterflügen anreisten, sassen zuhause fest. Für die Tourismusvertreter in Longyearbyen und viele betroffene Schiffsbetreiber ein weiterer harter Schlag nach den Corona-Jahren.
Mittlerweile hat sich die Pilotenvertretung der SAS mit den Sysselmesteren auf Svalbard auf eine Ausnahmegenehmigung für Flüge bis kommenden Sonntag geeinigt. Damit können die Menschen in Longyearbyen zumindest einmal täglich von und zur Insel gelangen. Daneben haben einige Charterflüge stattgefunden und sogar ein grosses Kreuzfahrtschiff nimmt noch Passagiere auf.
Was nach dem 17. Juli geschieht, hängt vom weiteren Verlauf des Streiks ab. Für SAS dürfte sich der Streik aber sehr negativ auswirken, denn nach offiziellen Angaben kostet dieser rund 10 Millionen Euro täglich. Und für eine Fluggesellschaft, die eben erst in den USA im Rahmen des US Banruptcy Code den Artikel 11 eingeleitet hat, den sogenannten «Reorganisationskonkurs», um den firmeneigenen Transformationsplan SAS FORWARD umzusetzen, sind solche Verluste ein herber Rückschlag.
Der zweite Grund für die grossen Turbulenzen auf dem kleinen Archipel liegt in der Versorgung der russischen Bergbausiedlung Barentsburg. Vor knapp einem Monat hatten norwegische Behörden zwei Container mit Versorgungsgüter für die über 400 Einwohner von Barentsburg auf dem Festland gestoppt und an einer weiteren Auslieferung gehindert. Dabei bezogen sie sich auf die von Norwegen mitgetragenen Wirtschaftssanktionen gegen Russland und die Tatsache, dass die Container von russischen Fahrzeugen transportiert worden waren, was eine Verletzung der Sanktionen bedeute.
Russland protestierte aufs Schärfste gegen diese Behinderung und warf Norwegen vor, damit den Spitsbergenvertrag zu verletzen. Als Antwort darauf kündigte der Kreml an, man wolle die Vereinbarung zur Grenzziehung in der Barentssee von 2010 noch einmal genauer unter die Lupe nehmen, was de facto eine Beendigung der Vereinbarung bedeutet hätte. Damit wäre es nach Expertenmeinung zu einem Fischereistreit zwischen den beiden Ländern gekommen. Norwegen erlaubte dann Anfang Juli den weiteren Transport der Güter, die mittlerweile in Longyearbyen per Schiff angekommen sind und nun weitertransportiert werden.
Ob damit aber Russland seine Drohung über eine «Neuinterpretation» der Barentssee-Vereinbarung zurückzieht, ist offen. Norwegische Offizielle dementieren, dass sie sich dadurch unter Druck haben setzen lassen. Experten des Vertrages geben gegenüber lokalen Medien auf Svalbard ebenfalls an, dass die Blockade der Güter nicht rechtens gewesen sei. Sie beruhe auf der ins Norwegische übersetzten Fassung des Vertrages. Nehme man aber den französischen Originaltext, sei alles klarer und präziser formuliert und daher wäre der Streit erspart geblieben, erklärt ein Experte.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal