Älteste DNA aus Nordgrönland zeigt Verwandte von Elefanten in der Region | Polarjournal
Hier im Independence Fjord in Nordgrönland, vergraben im Boden und von Eis und Schnee bedeckt, lieferten Proben dem Team von Kurt Kjaer und Eske Willersley einen 2 Millionen Jahre weit zurückreichenden Blick auf die Region und setzte damit vollkommen neue Massstäbe. Bild: NASA

In den Weiten der arktischen Regionen, verborgen unter Felsen, Geröll, Sand, Eis und Schnee, liegen zahlreiche Puzzleteile, die der Forschung einen Blick auf die Vergangenheit der Arktis erlauben. Doch solche Stellen zu finden, ist nicht nur eine Wissenschaft für sich, sondern auch mit viel Glück verbunden. Einen unvergleichbaren Volltreffer hat ein internationales Forschungsteam im äussersten Norden von Grönland gelandet und Fossilien und sogar genetisches Material entdeckt, das einen Blick zwei Millionen Jahre zurückschweifen lässt und grosse Überraschung bereithält.

Ein lichter Wald aus Birken, Pappeln und Thuja in einer von Gräsern, Büschen und Kräutern geprägten Landschaft, mittendrin Mastodons, eine ausgestorbene Elefantenart, über deren Köpfe Gänse fliegen und in den Küstengewässern Pfeilschwanzkrebse und Korallen am Meeresboden: So sah der äusserste Norden von Grönland vor zwei Millionen Jahren aus. Das ist das Ergebnis der Studie eines internationalen Forschungsteams unter der Leitung von Dr. Kurt Kjaer, Dr. Mikkel Winther Pedersen von der Universität Kopenhagen und Professor Eske Willersley von der Universität Cambridge. Ihre aufsehenerregende Entdeckung in die Vergangenheit wurde heute in der renommierten Fachzeitschrift Nature veröffentlicht. «Ein neues Kapitel, das sich über eine Million Jahre in der Geschichte erstreckt, wurde endlich aufgeschlagen, und zum ersten Mal können wir einen direkten Blick auf die DNA eines so weit zurückliegenden Ökosystems werfen», freut sich Professor Willersley.

Das Forschungsteam verdankt seine Ergebnisse der Entdeckung von sogenannter eDNA (environmental DNA) aus den Sedimentablagerungen in der für Geologen interessanten «Kap København»-Formation im äussersten Norden von Grönland. Am Eingang zum Independence Fjord liegt die eisfreie Stelle, in der die Forschenden in mühevoller Kleinarbeit in den letzten 16 Jahren immer wieder Proben aus fünf verschiedenen Stellen entnommen hatten. Diese Proben waren reich an organischem Material und gefroren geblieben dank der eisigen Bedingungen der Region. Man wusste bereits aus früheren Studien, dass der Ort einst grüner und artenreicher gewesen sein musste. Doch erst dank der Anwendung neuester Methoden zur Analyse von eDNA und dem Vergleich mit anderen bereits identifizierten Orten in der Arktis konnte das Forschungsteam 2 Millionen Jahre in die Vergangenheit blicken, was ein neuer Rekord ist. «Die alten DNA-Proben wurden tief vergraben in Sedimenten gefunden, die sich im Laufe von 20.000 Jahren gebildet hatten», erklärt Kurt Kjaer. «Das Sediment wurde schliesslich im Eis oder im Permafrostboden konserviert und – was entscheidend ist – zwei Millionen Jahre lang nicht vom Menschen gestört.»

Der Tweet von Mikkel Winther Pedersen, einem der Hauptautoren der Studie zeigt eine Darstellung der Region, in der die 2-Millionen Jahre alte DNA entdeckt worden ist, so wie sie heute aussieht und sich vor 2 Millionen Jahre zeigte. Die Bilder wurden von Beth Zaiken erstellt.

Das Team entdeckte in insgesamt 41 verwendbaren Proben, dass neben Verwandten von heutigen arktischen Vertretern wie Rentieren und verschiedenen Pflanzen auch Nagetiere, Hasen, Ameisen und sogar Mastodons einst in der Region gelebt hatten. Mastodons sind eine einst in Nordamerika weitverbreitete Gruppe von mit Elefanten verwandten Tieren gewesen. Der Fund in Grönland ist entsprechend auch für Paläontologen spektakulär, da dies der nördlichste Fund dieser Tiere ist. Ausserdem weist es daraufhin, dass die Region einst von Süden her zugänglich gewesen sein muss, doch wie und wo ist noch unklar. Ein weiterer Aspekt ergibt sich aus der Mischung der entdeckten Tierarten. Die Bedingungen, die es für die Mastodons, Insekten und viele Pflanzengruppen, die durch die Proben entdeckt worden waren, wären eigentlich für Rentiere kaum auszuhalten.

Aus den DNA-Resten hoffen die Forscher, auch mehr über die Anpassungen der damaligen Organismen zu erfahren. Denn das könnte auch mehr über die Anpassungsfähigkeit heutiger Arten wie Moschusochsen an die steigenden Temperaturen in der Arktis zeigen. Bild: Michael Wenger

Die Tatsache, dass Rentieren in derselben Region wie Mastodons lebten, eröffnen den Forschenden neue Möglichkeiten und Fragen, die sich aus dem entdeckten Material und aus den Umständen, wie es konserviert worden ist, ergeben. Denn einerseits liefert es Informationen darüber, ob und wie Arten sich an solch warme Bedingungen anpassen könnten. «Die Daten legen nahe, dass sich mehr Arten weiterentwickeln und an stark schwankende Temperaturen anpassen können als bisher angenommen», sagt Mikkel Winther Pedersen. «Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass sie dafür Zeit brauchen.» Und die ist nach Ansicht vieler Experten mittlerweile knapp. Doch Kurt Kjaer denkt hier noch einen Schritt weiter: «Es ist möglich, dass die Gentechnik die Strategie nachahmt, die Pflanzen und Bäume vor zwei Millionen Jahren entwickelt haben, um in einem von steigenden Temperaturen geprägten Klima zu überleben und das Aussterben einiger Arten, Pflanzen und Bäume zu verhindern.» Damit könnte der Blick in die arktische Vergangenheit auch einen besseren Blick in die Zukunft bringen.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Kjaer et al (2022) Nature 612 (283-291) A 2-million-year-old ecosystem in Greenland uncovered by environmental DNA; doi.org/10.1038/s41586-022-05453-y

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