Antarktis nähert sich Kipppunkten – Warnungen vor globalen Auswirkungen | Polarjournal
Die Populationsstrukturen der Pinguine verändern sich, da sich Beutetiere, Eisbedingungen und Wettergeschehen im Südpolarmeer verändern. Foto: Julia Hager

Erst vor wenigen Tagen machte Prof. Markus Rex, Expeditionsleiter der historischen MOSAiC-Expedition, deutlich, dass erste Ergebnisse der Expedition darauf hindeuten, dass das Meereis in der Arktis möglicherweise seinen Kipppunkt bereits überschritten hat. Fast zeitgleich veröffentlichte eine Expertengruppe führender Antarktis-Wissenschaftler den Bericht «Climate Change and Southern Ocean Resilience» («Klimawandel und Widerstandsfähigkeit des Südlichen Ozeans»), in dem sie ebenfalls vor dem baldigen Erreichen zahlreicher Kipppunkte in der Antarktis mit globalen Auswirkungen für die Menschheit und die biologische Vielfalt warnen. 

Der Klimawandel und seine Auswirkungen in der Antarktis werden in den beiden wichtigsten diplomatischen Foren, der Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis (CCAMLR) und der Konsultativtagung des Antarktis-Vertrags (ATCM), die gerade zum 43. Mal in Paris stattfindet, regelmäßig diskutiert. Aus Sicht führender Wissenschaftler reichen die bisher ergriffenen Maßnahmen jedoch nicht aus, um die Widerstandsfähigkeit des Südpolarmeeres zu erhöhen. Daher diskutierten sie Ende März  diesen Jahres weitere Managementmaßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels und die Auswirkungen der Entwicklungen im Südlichen Ozean – sowohl die Folgen des Klimawandels als auch die Managementmaßnahmen – auf das globale Klima sowie auf menschliche und ökologische Systeme. Das virtuelle Treffen organisierten das Wilson Center Polar Institute und The Pew Charitable Trusts. 

Als Meeresschutzgebiete vorgeschlagene Regionen im Südlichen Ozean. Ein Netzwerk von MPAs könnte die Erhaltung verschiedener Gebiete ermöglichen, die jeweils einzigartige Ökosysteme darstellen. Hellblau — Bestehende CCAMLR-Schutzgebiete; dunkelblau — aktuelle Vorschläge oder Entwürfe für Schutzgebiete, die von CCAMLR verhandelt werden. Karte: CCAMLR aus «Climate Change and Southern Ocean Resilience», Wilson Center Polar Institute

Andrea Capurro, Visiting Research Fellow an der Boston University und Hauptautorin des Berichts sagt: «Die Antarktis erreicht kritische Schwellenwerte und das Leben auf der ganzen Welt steht in direkter Linie zu den Kaskadeneffekten. Der Schutz von Gebieten, die durch den Klimawandel am meisten gefährdet sind, wie die Antarktische Halbinsel, wird uns nicht nur dabei helfen, die Artenvielfalt dort wiederzubeleben, sondern auch die Widerstandsfähigkeit weit entfernter mariner Ökosysteme zu stärken. Es wird uns auch ermöglichen, die langfristigen Auswirkungen anderer menschlicher Stressfaktoren, wie der Fischerei, zu überwachen. Indem wir die Gesundheit des Meeres auf diese Weise fördern, fördern wir auch unsere eigene. Indem wir ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel stärken, erhöhen wir unsere eigene.»

Der Bericht benennt fünf zentrale miteinander verknüpfte Prozesse im Südlichen Ozean, die durch den Klimawandel beeinflusst werden und weitreichende Veränderungen weit über die antarktische Region hinaus zur Folge haben werden. Dazu gehören:

  • Verschiebungen im Meereis und in der Dynamik des Eisschilds
  • Erhöhung der Ozeantemperaturen: Kollaps von Schelfeis und globaler Anstieg des Meeresspiegels
  • Veränderungen in der chemischen Zusammensetzung der Ozeane: erhöhte Aufnahme von Kohlendioxid, was zu Versauerung und möglicher Störung der Nahrungsnetze führt
  • Veränderungen in der biologischen Kohlenstoffpumpe: Störungen in der regionalen Kohlenstoffspeicherung und -bindung durch den Austausch von Kohlenstoff zwischen der Atmosphäre, Pflanzen und Tieren und dem Ozean
  • Störungen der Ökosysteme und der Fauna und Flora: Auswirkungen auf die Dynamik von Arten und Ökosystemen, die zu einem Verlust der biologischen Vielfalt, veränderten biologischen Prozessen, Verschiebungen in der geografischen Verteilung von Arten und Veränderungen in der Dynamik der Nahrungsnetze führen, sowohl regional als auch global. 
Der menschengemachte Klimawandel und die damit einhergehenden rapiden Veränderungen in der Antarktis werden weltweit tiefgreifende Folgen für die Menschheit und die Ökosysteme haben. Besonders besorgniserregend sind die Anzeichen, die auf das baldige Erreichen von Kipppunkten hindeuten, die irreversible, rasch fortschreitende und tiefgreifende Veränderungen in den biogeochemischen Kreisläufen der Antarktis und ihrer Rolle bei der Regulierung des globalen Klimas auslösen könnten. Grafik: Visual Knowledge, www.visualknowledge.design, aus «Climate Change and Southern Ocean Resilience», Wilson Center Polar Institute

Die Ökosystemwissenschaftlerin Rachel Cavanagh, die zusammen mit der Meeresbiogeografin Susie Grant, beide beim British Antarctic Survey, an der Experten-Arbeitsgruppe teilnahm, fügte hinzu: «Es ist zwingend erforderlich, dass klimabezogene Maßnahmen ohne Verzögerung in die Schutz- und Managementstrategien für das Südpolarmeer eingebaut werden. Die Diskussionen auf der ATCM in diesem Monat gehen der 26. UN-Klimakonferenz der Vertragsparteien (COP26) voraus, die im November dieses Jahres stattfinden wird und auf der die Auswirkungen des Klimawandels in der Antarktis eine hohe Priorität haben sollten.»

Die Expertenarbeitsgruppe schlug zur Bewältigung dieser Herausforderungen verschiedene Maßnahmen vor, die CCAMLR ergreifen könnte, wie:

  • die Ausweitung des Schutzes von Lebensräumen durch die Schaffung eines Netzwerks von Meeresschutzgebieten rund um die Antarktis;
  • die Neubewertung des aktuellen Fischereimanagements unter Berücksichtigung des Klimawandels (bisher beruhen die Entscheidungen über Fangquoten auf Bestandsabschätzungen);
  • die Nutzung von präventiven und ökosystembasierten Managementansätzen;
  • Verabschiedung eines Arbeitsplans, der bei sämtlichen Erhaltungsmaßnahmen auch die Folgen des Klimawandels berücksichtigt.

Mit diesem Bericht erhöht die Expertenarbeitsgruppe das Bewusstsein für den hohen Stellenwert von Forschung und Steuerung in dieser für uns lebenswichtigen Region. Sein Ziel ist es, dass politische Entscheidungsträger ihn als Ausgangsbasis verwenden, um die Antarktis und das Südpolarmeer bei Verhandlungen in den Vordergrund zu rücken und die Herausforderungen in dieser entlegenen Region greifbar zu machen.

Julia Hager, PolarJournal; Quelle: British Antarctic Survey

Link zum Bericht: https://www.wilsoncenter.org/sites/default/files/media/uploads/documents/PolarPerspectives-Report-FINAL_0.pdf 

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