Türkei stärkt Polarambitionen und ratifiziert Spitsbergenvertrag | Polarjournal
Das Parlament, offiziell «Grosse Nationalversammlung der Türkei» ist ein 600 Personen umfassender Körper, der seit 1920 existiert, demselben Jahr wie der Spitsbergenvertrag. Präsident Erdogan’s Partei AKP hält seit 2018 die Mehrheit. Bild: Yıldız Yazıcıoğlu via WikiCommons

Wie stark die Polarregionen in den letzten Jahren an Interesse global gesehen gewonnen haben, zeigt sich daran, dass immer mehr Staaten sich einerseits polaren Institutionen anschliessen und andererseits relativ rasch Polarprogramme aus dem Boden stampfen. Ein Beispiel dafür war vor einigen Tagen Taiwan und seine Forschungsstation in Longyearbyen. Als nächstes ist es nun die Türkei, die sich nach der Ankündigung einer eigenen Antarktisstation, nun auch die Arktis vornimmt.

Der Gesetzesvorschlag des türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan sieht vor, dass das Parlament den Svalbardvertrag (auch Spitsbergenvertrag) von 1920 umgehend ratifizieren soll und damit die Türkei in die Reihen der anderen 45 Vertragsmitglieder heben wird. Neben dem türkischen Präsidenten steht auch der Parlamentspräsident, Mustafa Şentop, hinter dem Vorschlag, der zurzeit vom aussenpolitischen Komitee geprüft wird, bevor er dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt wird. Mit einer Annahme wird jedoch allgemein gerechnet.

Schon bald will die Türkei auch auf Svalbard Arktisforschung betreiben. Wenn es nach den Plänen der Regierung in Ankara geht, sogar mit einer eigenen Forschungsstation. Ob diese wohl in Longyearbyen, Ny Ålesund oder sogar in Barentsburg stehen wird, bleibt erst einmal Spekulation. Zuerst wird aber der Svalbardvertrag von 1920 ratifiziert. Bild: Michael Wenger

Die Türkei erhofft sich mit dem Beitritt zum Svalbardvertrag einen Zugang zum norwegisch verwalteten Archipel und damit eine Ausweitung seines ambitionierten Polarpogrammes. «Türkische Bürger erhalten damit das Recht, auf dem Spitsbergenarchipel und in territorialen Gewässern, die nur rund 1’000 Kilometer vom Nordpol entfernt sind, unter norwegischer Verwaltung Land zu besitzen und zu leben, zu fischen und zu jagen,» heisst es in einer staatlichen Pressemitteilung. Die Ankündigung kommt nicht ganz überraschend. Denn der Staat betreibt seit 2017 sein eigenes polares Forschungsprogramm und hatte in den letzten Jahren schon mehrfach Schlagzeilen mit polaren Angelegenheiten gemacht. Im Mai 2021 hatte sich die Türkei um einen Platz als Beobachter im Arktisrat beworben, ohne Erfolg. Im Februar desselben Jahres wurde bekannt, dass der Staat am Bosporus eine eigene Antarktisstation errichten will.

Die Türkei gehört zu den Staaten, die Russland am nächsten stehen, vor allem wirtschaftlich. So liefert beispielsweise eine türkische Werft (siehe Bild) eines der grössten Schwimmdocks für russische Eisbrecher. Auch politisch stehen sich die beiden Länder nah. Bild: Kuzey Star

Auch wirtschaftlich und politisch hofft Ankara, mit dem Beitritt eine wichtigere Rolle in den Polargebieten spielen zu können. Denn sie sieht, wie viele andere Staaten auch, gerade in der Arktis einen Hotspot. Dabei könnte die Nähe des Landes zu Russland eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Sowohl politisch wie auch wirtschaftlich stehen sich die beiden Nationen sehr nahe, trotz des Ukrainekrieges und den Sanktionen, welche die Türkei bisher nicht umgesetzt hat. Experten gehen davon aus, dass die Ankündigung Ankaras auch mit den vor kurzem abgeschlossenen Verhandlungen um einen Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands zu tun haben könnten, wie die türkische Zeitung «Hürriyet» berichtet. Dort hatte sich die Türkei lange gegen eine Aufnahme der beiden skandinavischen Staaten gestellt. Erst bei ein Treffen in Madrid am 28. Juni konnte der Durchbruch erzielt werden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der türkische Präsident damals auch diese Karte gespielt hatte.

In wie weit die Türkei sich nach der Ratifizierung an Russland anlehnen wird, welches auf Svalbard seine eigene Gemeinde hat, oder doch die Oberhoheit Norwegens ohne Umschweife anerkennt, wird sich zeigen. Zurzeit tobt ein Streit zwischen Russland und Norwegen in Bezug auf die Versorgung der russischen Gemeinde Barentsburg und sorgt für Missstimmung auf beiden Seiten. Ob sich Ankara als neues Mitglied in diesen Disput einschalten wird und gegebenenfalls vermitteln wird, bleibt offen.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

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