Bohrkerne zeigen Schadstoffanreicherung in Antarktika | Polarjournal
So stellen sich die meisten Menschen die Antarktis vor: weiss und unberührt. Doch der Schein trügt, denn der menschliche Einfluss findet sich auch tief im Schnee und Eis wieder. Bild: Michael Wenger

Antarktika gilt als eine der letzten unberührten und wildesten Regionen der Erde. Das hat in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr Menschen auf den Kontinenten gelockt. Dadurch wird immer wieder die Frage nach den Auswirkungen der menschlichen Anwesenheit aufgeworfen, besonders im Bereich der Verschmutzung. Eine Studie britischer und deutscher Forscherinnen und Forscher zeigen nun, dass es nicht eine physische Anwesenheit von Menschen braucht, damit chemische Schadstoffe den Weg nach Antarktika finden.

In Firnproben, also in komprimiertem Schnee auf dem Weg zur Eisbildung, fanden Forschende des Lancaster Environment Centers in Zusammenarbeit mit der British Antarctic Survey BAS und des Helmholtz-Zentrums HEREON bestimmte langlebige, synthetische Schadstoffe, sogenannte PFAAs (Perfluoroalkylsäuren), in verschiedenen Mengen. Zu den entdeckten Schadstoffen zählt auch das besonders schädliche PCOA (Perfluorooctansäure), das bei der Herstellung von wasser- und ölabweisenden Oberflächen verwendet wird und das Immunsystem und die Fortpflanzungsfähigkeit beeinflussen kann. Dr. Ralf Ebinghaus, Leiter des Instituts für Umweltchemie des Küstenraumes am Helmholtz-Zentrum HEREON, erklärt dazu: «Dieser Fund der Kollegen ist bemerkenswert und dokumentiert ganz klar, dass wir es hier mit „forever chemicals“ zu tun haben. Es ist das auch erste Mal, dass diese Chemikalie im Tiefenprofil eines Firnkerns im Inneren von Antarktika entdeckt worden ist.» Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Environmental Science and Technology in ihrer neuesten Ausgabe veröffentlicht.

Die Schadstoffe wurden in Proben gemessen, die während einer Expedition 2017 in die Region Dronning Maud-Land in der Ostantarktis unternommen worden war. Der Firn stammte aus Bohrproben, die einen Zeitrahmen zwischen 1957 und 2017 abdeckte, schreibt das Team in ihrer Arbeit. Mithilfe von verschiedenen Analysen gelang es den Forschenden, die verschiedenen PFAAs nachzuweisen. Im Vergleich zu anderen Orten lagen die Konzentrationen der Schadstoffe auf derselben Höhe oder etwas darunter und bewegten sich zwischen 137 und 4’711 Pikogramm pro Liter Schmelzwasseräquivalent. Den grössten Anteil hatte dabei die kurzkettige Perfluorobutansäure, die nach einem Verbot der schädlicheren PFOA in der Industrie verwendet wird. Doch es zeigte sich, dass die Mengen der meisten sich im Laufe der Zeit ständig erhöht hatte und teilweise weiter steigen. «Wir beobachteten (…) eine zunehmende Anreicherung von PFCA im Schnee, wobei die chemischen Flüsse für Perfluoroctanoat (PFOA, C8) und Nonanoat (PFNA, C9) im Zeitraum 2009-2013 ihren Höhepunkt erreichten und es kaum Anzeichen für einen Rückgang dieser Chemikalien gab, obwohl die Produktion dieser Stoffe in jüngster Zeit angeblich weltweit eingeschränkt wurde», schreiben die Forscherinnen und Forscher in ihrer Arbeit.

Die Schadstoffe, die entdeckt worden sind, stammten nicht von umliegenden Stationen oder direkten menschlichen Aktivitäten, sondern aus den Produktionsstätten weit ausserhalb Antarktikas. Dabei werden Vorläuferstoffe ausgestossen und in Richtung Antarktis abtransportiert, wo sie sich auf verschiedenen Wegen anreichern (gestrichelte schwarze Linie). Bild: Garnett et al (2022)

Zu den Ursprüngen der Schadstoffe schreiben die Autorinnen und Autoren, dass diese nach Analyseresultaten nicht durch die Stationen und menschlichen Aktivitäten in der abgelegenen Region dorthin gelangt waren, sondern durch hemisphärische Transportprozesse. Dabei werden an Produktionsstätten Vorläufer der Schadstoffe ausgestossen, die danach mittels atmosphärischer Prozesse bis nach Antarktika transportiert werden. Dabei spielt es eine Rolle, ob es sich um kurzkettige oder langkettige Schadstoffe handelt. Je kürzer die Kette, desto weiter der Transport ins Innere des Kontinents. Häufig werden sie erst dank den häufigeren Schneefällen an der Küste abgelagert, gelangen dann dort wieder in die Luft und «hüpfen» dann so immer weiter ins Innere. «Der Transport in die Antarktis von Vorläuferverbindungen (8:2-FTOA) über die Atmosphäre scheint der wahrscheinlichste Weg zu sein», erklärt Dr. Ebinghaus zu den Transportprozessen. «Der ozeanische Transportweg ist langsam und reicht auch nicht so weit ins Innere hinein.»

Besonders besorgniserregend ist neben dem Transport auch die Tatsache, dass unter den entdeckten Schadstoffen auch das schädliche PFOA immer noch nicht zurückgegangen ist, obwohl global ein Produktionsstopp beschlossen worden war. Das deutet darauf hin, dass entweder immer noch eine hohe Konzentration von Vorläuferstoffen in der Atmosphäre zirkulieren oder dass sich nicht alle an die Umweltschutzprotokolle wie das Montreal- oder das Stockholmprotokoll halten, die u.a. zum Schutz der Antarktis erstellt und von den meisten Staaten ratifiziert worden sind. Auf jeden Fall ist sich das Forschungsteam sicher, dass in der Zukunft die Mengen an solchen langlebigen Schadstoffen noch weiter ansteigen werde. «Diese Stoffe werden unter polaren Bedingungen noch langlebiger und sind dann tatsächlich „Forever Chemicals“. Damit sind sie zwar für eine gewisse Zeit gebunden. Doch unter Umständen wie grosse Schmelzvorgänge können sie wieder zurück in die Umwelt entlassen werden und werden uns daher noch lange Zeit beschäftigen.»

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Garnett et al (2022) Environ Scie Tec Epub Increasing Accumulation of Perfluorocarboxylate Contaminants Revealed in an Antarctic Firn Core (1958–2017) ; doi.org/10.1021/acs.est.2c02592

Mehr zum Thema:

Print Friendly, PDF & Email
error: Content is protected !!
Share This