«Pénélope» – Kunstprojekt an belgischer Antarktisstation | Polarjournal
Die Künstlerin Marie Minary, die mit Plastiken und Malerei arbeitet, entwickelte das Projekt Pénélope gemeinsam mit den Künstlern Maxime Vernier und Benoît Verdin und liess ihre Figuren an der belgischen Antarktisstation «Princess Elisabeth Antarctica» eine Geschichte über Zeit, Immobilität, Suche, Abwesenheit und Liebe erzählen. Bild: © Marie Minary / Maxime Vernier

Die Antarktis hat in der Vergangenheit zahlreiche Künstlerinnen und Künstler zu einzigartigen Werken inspiriert. Seien es Musiker, Maler oder auch Bildhauer, bei allen wurde die Fantasie von der einzigartigen Landschaft und den Gegebenheiten angeregt, Werke zu schaffen. Ein ganz neues und besonderes Projekt aber setzt nicht die Antarktis in den Mittelpunkt, sondern wurde inspiriert von einer Geschichte, die zehntausende Kilometer weiter nördlich spielte und seit Jahrtausenden selber die Fantasie anregt: Die Geschichte von Penelope, der Gattin des griechischen Sagenhelden Odysseus.

Eingefangen in einem Bild in der eisigen Welt der Antarktis sitzen zwei Figuren und betrachten die Sonne, die im antarktischen Sommer nicht unter den Horizont sinkt. Sie scheinen eingefroren im Moment, nicht durch die Kälte oder das Bild, sondern sich etwas erzählend und zuhörend. Oder eine Gruppe von Gästen, die von einem Hügel aus über eine markierte Piste auf einen pyramidenförmigen Berg blicken, der in der Nähe einer Antarktisstation steht, und den Anblick der antarktischen Landschaft im Sonnenlicht in sich aufnehmen. All diese Figuren sind jedoch keine echten Menschen, sondern Eisskulpturen der Künstlerin Marie Minary, die das Projekt «Pénélope» initiiert hatte und jetzt das Resultat in einer Ausstellung im französischen Besançon zeigt.

Die Idee zum Projekt sei ihr 2017 gekommen, erklärt Marie Minary in einem Interview. Damals hatte ihr Partner Benoît Verdin, der ebenfalls in das Projekt involviert ist, eine Anstellung an der belgischen Antarktis-Station «Princess Elisabeth Antarctica» angenommen. Diese seit 2009 in Betrieb stehende Forschungsstation liegt 180 Kilometer weit von der antarktischen Küste entfernt mitten im Königin-Maud-Land in Ostantarktika.  «Ich hatte zu Beginn Schwierigkeiten, die bevorstehende Abreise meines Partners zu akzeptieren. Doch ich merkte bald, dass Benoît’s Reise nach Antarktika eine einmalige Gelegenheit für uns beide darstellte. Für ihn auf beruflicher Ebene und für mich, um Inspiration als Künstlerin zu finden», erklärt Marie Minary. Aus dieser Gelegenheit liess sich die Künstlerin von der Geschichte von Penelope, der Gemahlin des Odysseus inspirieren, da sie viele Parallelen in ihrer beiden Situation erkannte. Beide können ihren Partner nicht auf seinem Abenteuer begleiten, müssen mit dessen Abwesenheit umgehen, haben keine Einflussmöglichkeit über dessen Situation und können auch nicht helfen. Sie fühlte sich wie eine bewegungslose Statue mit eingefrorenen Erwartungen.

Zeitrafferaufnahmen der Eisskulpturen zeigen das Spiel mit Sonnenlicht und den Schatten der Umgebung und repräsentieren u.a. auch das Klima und die Veränderungen, denen die Eiswelt Antarktikas, dargestellt durch die Figuren, ausgesetzt sind. Damit will die Künstlerin auch auf den Klimawandel im Verlauf der Zeit aufmerksam machen. Video: © Marie Minary / Maxime Vernier

Doch anders als Penelope, die insgesamt 20 Jahre ohne Nachrichten auf die Rückkehr ihres Mannes warten musste, nutzte die Künstlerin die Gelegenheit, um sich durch Erzählungen, Fotos und durch viele Quellen ein Bild von Antarktika zu machen. Sie erkannte die zwei Gesichter der Region: Auf der einen Seite die harte, unnachgiebige Natur, geformt und beeinflusst durch die Kälte und die Abgeschiedenheit. Auf der anderen Seite entdeckte sich auch die Zerbrechlichkeit der Region, die durch Klimawandel und Zeit immer stärker negativ beeinflusst wird. Eis, das in Antarktika so hart aussieht, wird durch den Klimawandel und die Zeit weggeschmolzen bzw. wegerodiert. Dies, zusammen mit der Verbindung zu Pénélope und ihren eigenen Gefühlen, liessen das Projekt entstehen. Besonders letzteres ist ein ebenso wichtiger Aspekt in der Projektentstehung. Projekt „Pénélope“ ist ein Abenteuer, auch ein Liebesabenteuer», meint Marie Minary. Und auf ihrer Webseite steht zum Projekt «Du hast das Licht mitgenommen, mir bleibt die Nacht. Die, die wir früher geteilt haben. Derselbe Himmel beobachtet uns. Ich biete dir ein Fenster, einen Durchgang, damit wir weitermachen können, unsere Nächte zu teilen.»

Die Figuren symbolisieren Erwartungen der Künstlerin und auch von Pénélope einerseits, das Eis die Antarktis und dessen Härte und gleichzeitige Zerbrechlichkeit. Denn Zeit und Klimawandel lassen die Eisfiguren langsam verschwinden. Bild: © Marie Minary / Maxime Vernier

Die Ausstellung des Projekts «Pénélope» ist eine multimediale Installation im Museum für Kunst und Archäologie in Besançon. Dabei werden Bilder und Videoaufnahmen von Eisskulpturen gezeigt, die im Licht der antarktischen Sonne im Verlauf von zwei Jahren immer wieder aufgenommen worden sind. Das Spiel mit Licht und Schatten, der Zeit und der Einzelaufnahmen, die das Einfrieren sowohl der Figuren wie auch der Zeit symbolisieren, sind die zentralen Aspekte der Installation. Gemeinsam mit dem Künstler Maxime Vernier entwickelte Marie Minary die Gussformen für die Eisfiguren, die sie dann ihrem Partner Benoît mitgab, um sie in Antarktika zu fotografieren und zu filmen. Die Aufnahmen wurden dann zuhause bearbeitet und zur Kunstinstallation zusammengefügt. «Meine ursprüngliche Vision für das Projekt haben wir in mehreren diskontinuierlichen Phasen über zwei Jahre verwirklicht», erklärt Marie Minary weiter.

Nachdem die Pandemie eine erste Ausstellung im April 2020 verhindert hatte, wird die Installation seit dem 24. Februar im Rahmen einer Gesamtausstellung über zeitgenössische Kunst in Besançon noch bis zum 24. April gezeigt. Doch das Projekt ist noch nicht vorbei, sagt Marie Minary. «Es ist ein sich kontinuierlich weiter entwickelndes Projekt.» Ausserdem wird in Besançon nur ein Teil des gesamten Projektes gezeigt. Deswegen werden weitere Ausstellungsorte noch gesucht. Bleibt zu hoffen, dass es nicht wie einst bei Homer’s „Odyssee“ 20 Jahre dauern wird, bis Projekt „Pénélope“ das nächste Mal zu sehen sein wird.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Webseite von Marie Minary und Projekt „Pénélope“

Link zur Museumswebseite

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