Während sich auf der Nordhalbkugel langsam der Frühling einstellt und die Tage immer länger werden, setzt am Südpol der lange Winter ein. Das bedeutet neben der üblichen Polarnacht auch noch tiefere Temperaturen. Doch schon seit Jahren melden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler immer wieder ungewöhnliche Wärmeeinbrüche, die mehrere Tage dauern. Und in diesem Jahr ist es nicht anders, aber trotzdem ungewöhnlich.
Seit dem 25. März meldet die Amundsen-Scott-Station am Südpol Temperaturen die fast 20 Grad über dem langjährigen Durchschnitt liegen. Das twittert der italienische Journalist und Kenner der Materie Stefano Di Battista. Im konkreten Fall heisst das -37°C statt den durchschnittlichen -53.7°C. Diese berechnen sich aus dem Mittelwert der Temperaturen zwischen 1991 und 2020 und schliessen damit auch bereits andere Hitzetage am Südpol mit ein. Denn neu ist das Phänomen zwar nicht, aber dennoch ungewöhnlich. Glücklicherweise liegen die Temperaturen trotz des Anstiegs immer noch weit unter dem Rekordwert vom letzten Jahr, als die Stationen Concordia und Vostok, die weiter oben auf dem antarktischen Inlandeis liegen, Temperaturen von -11°C bzw. -20°C gemeldet hatten.
Schuld an den ungewöhnlich hohen Temperaturen dürfte einmal mehr eine Verschiebung des südlichen Jetstreams, der wellenförmigen Höhenströmung, sein, der warme Luftmassen bis weit in den Süden hineinführt und gleichzeitig kältere Luftmassen weiter nördlich bringt. Dadurch entstehen atmosphärische Flüsse, die Wärme und Feuchtigkeit transportieren. Ein Blick auf die Webcam der Südpolstation zeigt entsprechende tiefe Wolken und grauen Himmel über der Amundsen-Scott-Station. Im Tagesverlauf fiel die Temperatur zwar wieder auf -44°C, wie die Station auf der Webseite des US Antarctic Program meldete. Doch das liegt immer noch weit über den normalerweise herrschenden Temperaturen zu diesem Zeitpunkt am Südpol.
Auch das antarktische Meereis ist in diesem März weiter auf dem Rückgang, wie die Karte der EU-Satellitenmission «Copernicus» zeigt. Schon im Februar meldeten verschiedene Stellen, dass in diesem Jahr ein neuer Tiefstwert für die antarktische Meereisausdehnung erreicht worden ist. Global gesehen galt der Februar nach Angaben von Copernicus als der fünftwärmste seit Beginn der Aufzeichnungen in Sachen Lufttemperatur. Insgesamt waren die vergangenen Monate geprägt von massiven Wetteranomalien auf beiden Seiten des Globus: zweitwärmster Winter in Europa, massive Trockenheiten in Südeuropa Südaustralien und Südamerika, dafür viel zu nass im westlichen Nordamerika, Nordaustralien und Südafrika Und auch wenn der jetzige Wärmeeinbruch und die daraus resultierende «Hitzewelle» am Südpol noch weit unter anderen Rekordwerten liegt, ist es für viele Expertinnen und Experten ein weiterer Schuss vor den Bug, der zeigt, dass das Klima global aus den Fugen gerät.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal
Beitragsbild: Jeff Keller, National Science Foundation