Berliner Erklärung zielt auf Schadstoffproblem in Polarregionen | Polarjournal
Das Wissen über die Verschmutzung polarer Gebiete durch chemische Schadstoffe ist im Moment noch etwa so neblig, wie diese grönländische Siedlung. Doch mit der «Berliner Erklärung» soll Licht ins Trübe gebracht werden. Bild: Michael Wenger

Die Verschmutzung von Lebensräumen gehört neben dem Klimawandel zu den grössten Herausforderungen, denen sich die Weltbevölkerung gegenübergestellt sieht. Dabei geht es nicht nur um Plastik und andere Abfälle, sondern auch und besonders um chemische Schadstoffe, die oft ungesehen in mittlerweile allen Regionen der Erde angekommen sind, auch in den scheinbar unberührten Polarregionen. Expertinnen und Experten haben nun in einer Arbeit eine Erklärung veröffentlicht, in der sie einen Plan zur Bekämpfung dieses Problems vorschlagen.

Die von einem 26-köpfigen Team aus 19 Forschungsinstitutionen in 13 Ländern veröffentlichte Arbeit listet zehn Elemente auf, die von verschiedenen Stellen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und öffentlicher Gesellschaft unternommen werden können, um dem immer grösser werdenden Problem der Schadstoffe in die Arktis und Antarktis entgegenzutreten. Diese zehn Punkte wurden im Rahmen eines Workshops formuliert, der im Januar 2022 unter der Leitung des Helmholtz-Zentrums Hereon und dem deutschen Umweltbundesamt durchgeführt worden war und als «Berliner Erklärung» betitelt wird. «Der Konsens, der am Workshop erreicht worden war, kann in zwei Worten zusammengefasst werden: Agiert jetzt!», erklärt das Team. Die Erklärung wurde in der neuen Ausgabe der Fachzeitschrift Chemosphere veröffentlicht. Ausserdem steht die «Berliner Erklärung» allen Forschenden, Entscheidungsträgern, Regulierungsbehörden und anderen Interessenten zur Unterschrift auf der eigens kreierten Webseite Coastal Pollution Toolbox (www.coastalpollutiontoolbox.org) bereit.

Die Veröffentlichung der «Berliner Erklärung» kommt zu einem günstigen Zeitpunkt. Denn schon seit längerem ist mit der als «Forever Chemicals» bezeichneten Stoffklasse PFAS (Polyfluoroalkyl substances) und deren schädlichen Wirkungen auf Menschen und Umwelt bei uns ein heisses Eisen in den Nachrichten und in der öffentlichen Diskussion. Doch solche und andere persistente Schadstoffe, die bereits viel länger in der Umwelt herumgeistern sind ein globales Problem, wie das Team um Erstautor Dr. Ralf Ebinghaus vom Hereon in ihrer Arbeit schreiben. «Die Menschheit bewegt sich derzeit ausserhalb der globalen Grenzen der chemischen Verschmutzung, da die rasche Zunahme der Produktion und Freisetzung von anthropogenen Chemikalien die globalen Kapazitäten zur Bewertung und Überwachung der damit verbundenen Risiken übersteigt» erklärt Dr. Ebinghaus und das Team. Gleichzeitig erachtet das Team die Polargebiete als wichtige globale Regionen, in denen wesentliche Prozesse der Erde ablaufen. Diese beeinflussen wiederum weit entfernte Regionen beispielsweise über die Ernährung. Das bedeutet, dass chemische Schadstoffe, die in der Regel aus industrialisierten Zentren in die Polargebiete gelangen, am Ende wieder bei den Verursachern auf dem Tisch landen. Darum sieht das Autorenteam einen dringenden Handlungsbedarf. «Wir als eine Gruppe von Forscherinnen und Forschern, sind beunruhigt über die Konsequenzen der langfristigen chemischen Verschmutzung in der Arktis und Antarktis», erklärt das Team.

Aber die Fragen rund um die Thematik sind sehr zahlreich, denn das Wissen ist beschränkt und fragmentiert. Transportwege, Schadstoffquellen, Verfügbarkeit in den einzelnen polaren Lebensräumen, Auswirkungen auf Organismen und nicht zuletzt der Einfluss des Klimawandels auf all diese Aspekte sind nur teilweise erforscht und bekannt. Ausserdem besteht ein massiver Unterschied im Informationsstand bei der Antarktis im Vergleich zur Arktis. All dies führt dazu, dass sowohl in der Politik wie auch in der Wirtschaft und in der breiten Öffentlichkeit die Problematik kaum wahrgenommen wird. Hier will die «Berliner Erklärung» ansetzen, um ein umfassendes Verständnis zu schaffen und so «einen abgestimmten und multidisziplinären, wissenschaftsbasierten Ansatz für alle Beteiligten» zu schaffen. Konkret schlägt die Erklärung zehn Massnahmen für Schadstoffnachweis und deren Ursprünge, Überwachung und Bewertung von Schadstoffen, wissenschaftliche Kooperation an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik, Konzepte, Möglichkeiten und technische Lösungen für die gemeinsame Nutzung von Daten sowie die Bereitstellung massgeschneiderter wissenschaftlicher Informationen für politische Entscheidungsträger vor. Damit, so ist das Autorenteam überzeugt, kann ein optimales Verständnis weltweit für das Problem der chemischen Verschmutzung erreicht werden. «Da die polare Welt mit dem Rest der Erde verbunden ist, trägt die ganze Welt eine gemeinsame Verantwortung für ihren Schutz», schreibt das Team. «Wir hoffen, dass die Berliner Erklärung als Kern für die Entwicklung eines Netzwerks dienen wird, das gefördert und erweitert wird, um eine regelmässige Plattform für polare Kooperationen zu schaffen.»

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Die zehn Punkte der «Berliner Erklärung»

  • Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der Politik für die chemische Verschmutzung
  • Anwendung des Vorsorgeprinzips (Schutzmassnahmen ohne vollständigen Schadensnachweis)
  • Stärkung der Vernetzung und gemeinsamen Ausarbeitung von Massnahme unter Berücksichtigung von indigenem Wissen
  • Bessere Nutzung von Überwachungsdaten aus den Polarregionen für das Chemikalienmanagement
  • Anpassung von Vorschriften zum Schutz der Polarregionen
  • Ausweitung der Schadstoffforschung und Vereinheitlichung der Überwachung in Arktis und Antarktis
  • Entwicklung innovativer Untersuchungsverfahren für die Polarregionen
  • Erweiterung der Umweltprobenbanken
  • Gewährleisten eines international offenen Datenzuganges
  • Einrichtung von Plattformen zum Einfrieren digitaler Proben und virtueller Umweltprobenbanken

Link zur Studie: Ebinhgaus R. et al (2023) Chemosphere 327 (138530) Berlin statement on legacy and emerging contaminants in polar regions; doi.org/10.1016/j.chemosphere.2023.138530

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