Antarktis-Blog Teil 2 – Von der Quarantäne in die Arbeit | Polarjournal
So weit das Auge reicht – flach und weiss. Hier mein Arbeitsplatz in der „verbotenen Zone“. (Foto: Matthias Jaggi / SLF)

SLF-Techniker Matthias Jaggi arbeitet zurzeit an der Concordia-Station mitten in Antarktika und untersucht Schnee. In seinem Blog berichtet er über die Arbeit und das Leben auf 3’000 m Höhe.

Nach fünf langen Tagen steht an diesem Morgen der Covid PCR Batchtest auf dem Programm. Ist er positiv, so bleibt unsere Viergruppe nochmals 3 Tage in Quarantäne. Ist er hingegen negativ, so ist das der Startschuss in den lang ersehnten Arbeitseinsatz hier auf Dome C. Und welch eine Freude, als wir per Funk mitgeteilt bekommen haben, dass wir entlassen sind. Weitere Tage in der Quarantäne wären nämlich hart geworden. Der Stoff ging langsam aus. Dem Weihnachtsgeschenk von meinen Arbeitskollegen in Davos konnte ich nicht widerstehen. Der Haptik, der Form und der Biegefestigkeit an musste es sich um ein Buch handeln. Dem war auch so: Der Roman „Bündner Irrlichter“ hat mir die Quarantänezeit massiv erleichtert. Und die mitgebrachte Schweizer Schokolade ging dem Ende entgegen. Ja, es war höchste Zeit, dass sich etwas ändern musste.

Auf freiem Fuss musste ich mir zuerst einmal Überblick verschaffen. Der Teil vom Gepäck, der bereits hier sein sollte, ist irgendwo in den Zelten untergebracht. Mit dem wissenschaftlichen Leiter Vito war aber schnell alles beisammen und gefunden. Dieses Mal bin ich im „Spacca Ossa“ einquartiert – das „bricht Knochen“ Zelt. Bis jetzt bin ich verschont geblieben. Das Zelt ist unterteilt, und nur in einem Teil steht ein Ofen. Für mich passt das sehr gut. Die Instrumente lagere ich im Warmen und für das spätere Vergiessen der Schneeproben benötige ich eh eine Temperatur um die minus 5°C, und je nach dem, in welchem Teil vom Zelt und Abstand zum Ofen ich mich befinde, kann ich fast jede beliebige Temperatur haben – wenn ich den Sonnenstand miteinberechne. Der „labormässige“ Arbeitsplatz ist nun klar, aber ich brauche ja auch noch eine ungestörte Versuchsfläche…

Vito weist mir eine Fläche in der „Forbidden Area“, der verbotenen Zone, zu. Diese liegt auf der Wind abgewandten Seite (meist) und wird nicht durch Russ oder andere Verunreinigungen beeinflusst. Zudem werden alle Tätigkeiten örtlich sehr genau erfasst, damit man immer eine ungestörte Schneedecke vorfindet. So habe ich dann einen Tag später angefangen zu schaufeln und plötzlich, in einer Tiefe von einem Meter, Risse entdeckt. Der erste Gedanke war natürlich: diese Halunken, haben mir doch eine Emmentaler Versuchsfläche zugewiesen – überall Risse und kleine Hohlräume. Doch der Verlauf der Schneeschichten rund um die Risse hat sehr natürlich gewirkt und überhaupt nicht eingeblasen oder wieder zugeschaufelt ausgeschaut. Etwas verunsichert habe ich in der Mittagspause zum Telefonhörer gegriffen und meinen pensionierten Ex-Chef Martin Schneebeli angerufen. Das mit der Zeitverschiebung hatte ich noch nicht so im Griff, und er war über das äusserst früh morgendliche Telefon erstaunt, wohl aber auch etwas erfreut. Er hat mir das Phänomen erklärt. Wenn sich die Schneedecke im Winter auf bis zu minus 60°C auskühlt, verliert der Schnee die Eigenschaft vom plastischen Fliessen und der Schnee verhält sich dann fast wie ein gewöhnliches Material. Er zieht sich bei der Auskühlung zusammen und folglich müssen irgendwo Risse entstehen. Also alles im grünen Bereich, und ich weiche den Rissen beim Profilen nun einfach aus.

Wie schon im ersten Blog erwähnt, wollen wir ja den Einfluss der Schneemetamorphose auf die O18-Isotopenumverteilung verstehen. Am einfachsten ist es natürlich, dies direkt am Schneeprofil selbst zu machen. Am Anfang und am Ende des Sommers beide Grössen messen, die Schneemikrostruktur und die dazugehörige Isotopenkonzentration, und durch die Veränderung von beiden den Prozess verstehen zu versuchen. Das werden wir auch machen, aber um uns das Leben noch etwas zu vereinfachen, schneiden wir eben auch Blöcke (40 x 40 x 30 cm) aus dem Profil heraus, packen sie luftdicht in Folie ein und lassen diese Blöcke unter vereinfachten, temperaturmässig aber gleichen Bedingungen in selbst gebauten Metamorphosekisten „brüten“. Mit diesem Vorgehen versuchen wir, Prozesse auszuschalten, die uns die Interpretation des Experimentes und das Prozessverständnis erschweren könnten. Wir fahren also zweigleisig. Draussen am realen Profil mit voller physikalischer Komplexität und unter vereinfachten Bedingungen in unseren Boxen.

Nebst den sehr hilfsbereiten und lösungsorientierten Kollegen von der Logistik kann ich auch immer wieder freiwillige Kollegen aus der Forschung ermuntern, beim Schaufeln zu helfen – meist bleibt es jedoch bei einem einmaligen Einsatz. Trotzdem bin ich froh, jeden Tag jemanden an der Seite zu haben, der mich dabei unterstützt, die Schneeblöcke aus dem Loch zu hieven, diese in die Folien zu packen und das Päckchen zuzukleben. Alleine wäre dies fast nicht möglich. Zuerst müssen wir die Metamorphosekisten mit dem Schlitten von der „forbidden zone“ wegschaffen, dann geht es aber per Skidoo zum circa zwei Kilometer entfernten, unterirdischen Eisbohrkernlager EPICA, wo das Experiment laufen wird.

Wir haben das EPICA-Lager gewählt, weil es dort konstant minus 50°C hat. Da die Metamorphoseboxen nur heizen können, brauchen wir eine Umgebungstemperatur, die kälter ist als das, was wir einstellen wollen. Weil Schneemetamorphose bei den grundsätzlich eher tiefen Temperaturen hier in der Antarktis langsamer vonstattengeht als in den wärmeren Alpen, war das Ziel, das Experiment so schnell wie möglich aufzubauen und erst kurz vor meiner Abreise wieder abzubauen. Abgesehen von der Quarantäneverzögerung ist mir das wohl geglückt. Wie der Käser zu seinen Laiben schaut, marschiere ich täglich zu meinen Metamorphosekisten und passe die Temperaturen entsprechend den realen Bedingungen im Schneeprofil an.

Nach der körperlich strengen Woche im Schneeprofil muss ich nun die Messdaten sauber dokumentieren. Im Wesentlichen bedeutet dies, die Notizen und Messwerte aus dem Feldbuchgekritzel in Tabellen zu übertragen, damit diese später automatisiert verarbeitet und ausgewertet werden können. Das „Rekonstruieren“ der Feldbuchnotizen beruht auch etwas auf der Erinnerung. Bei minus 50°C Windchill Temperatur mit Fäustlingen verfasst man eben keine Romane, und die Erinnerung ist erschreckend volatil.

Kurz vor dem endgültigen auf Mass schneiden des Blockes packe ich noch Schneeproben in Davoser Milchpackungen für den Rücktransport. Vor dem Verschicken der Schneeproben werden diese jedoch noch vergossen. (Foto: Matthias Jaggi / SLF)

Sobald ich den Rest meines Gepäcks erhalte, kann ich anfangen, die bereits aus dem Profil genommenen Schneeproben zu vergiessen und für den Transport fertig zu machen. Vergossene Schneeproben werden wir nach Davos schicken, um mittels Röntgentomographie deren Schneemikrostruktur zu analysieren. Wie das klappt, und ob Weihnachten stattgefunden hat, erfahrt ihr im nächsten Blog.

Matthias Jaggi ist technischer Mitarbeiter in der Forschungseinheit „Schnee und Atmosphäre“ des SLF, wo er die Kältelabors des Instituts leitet. Als Ingenieur entwickelt er technische Lösungen und entwirft Experimente zur Messung von Schnee und Eis. Er plant, berät und führt regelmäßig Feldkampagnen zur Schneephysik in den Polarregionen durch.

Weitere Informationen über das Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF: https://www.slf.ch

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