Plastik in der Arktis: Rückblick auf Reykjavík 2023 | Polarjournal
In verschiedenen Diskussionsrunden wurden die neuesten Erkenntnisse und Lösungsstrategien gegen die Plastikverschmutzung in der Arktis erörtert. Foto: Julia Hager

Das zweite Internationale Symposium zu Plastik in der Arktis und Sub-Arktis in Reykjavík zeigte wichtige Erfolge im Kampf gegen die Plastikverschmutzung in der Arktis, aber enthüllte auch, wo es dringenden Forschungs- und Handlungsbedarf gibt.

Nur wenige Tage nachdem in Nairobi, Kenia, die dritte Verhandlungsrunde des Intergovernmental Negotiating Committee (INC3) auf dem Weg zu einem bindenden globalen Vertrag zur Eindämmung der Plastikverschmutzung zu Ende ging, fand in Islands Hauptstadt Reykjavík zum zweiten Mal das Internationale Symposium zu Plastik in der Arktis und Sub-Arktis statt.

Etwa 120 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Nachwuchsforschende, Vertreter indigener und lokaler Gemeinschaften, politische Entscheidungsträger, Interessenvertreter und andere tauschten sich am 22. und 23. November 2023 in Reykjavíks Konferenzzentrum und Konzerthalle, der Harpa, über die aktuelle Situation, über Forschungsmethoden, Quellen und Transportwege, Auswirkungen sowie Lösungen und Strategien bei der Bekämpfung der Plastikverschmutzung aus.

«Wir sind sehr zufrieden mit dem Symposium. Wir hatten viele sehr interessante Präsentationen, neue Studien zu diesem Problem. Es ist klar, dass Mikroplastik zunehmend in den Fokus rückt, und es gab viele Vorträge zu diesem Thema», betonte Magnús Jóhannesson, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Lenkungsausschusses des Symposiums, gegenüber PolarJournal.

Das zweitägige Symposium lebte von 66 Kurzpräsentationen, Diskussionsrunden zu den Themenbereichen und Zusammenfassungen im Plenum. Das Spektrum der Kurzpräsentationen reichte von subarktischen Finnwalen als Bioindikatoren für Plastikverschmutzung über ein pan-arktisches Monitoringprogramm für Meeresmüll und Mikroplastik bis hin zu den Umweltauswirkungen von Kunststoffen, die in Zahnarztpraxen verwendet werden.

Der «Thron von Poseidon» im Anthropozän. Foto: Julia Hager

Zwei Themenkomplexe stachen an beiden Tagen jedoch besonders hervor: Mikroplastik und Fischerei. 

In fast einem Drittel der Präsentationen ging es um Mikroplastik: Neben der Entwicklung neuer Methoden zum Zurückhalten von Mikroplastikpartikeln in Abwasserreinigungsanlagen zeigten neue Studien unter anderem die vielfältigen Wege, die Mikroplastik in die und in der Arktis nimmt. 

Nicht einmal die entlegensten Regionen der Arktis können noch als ursprünglich und unberührt bezeichnet werden, denn Plastik und insbesondere Mikroplastik sind praktisch überall nachweisbar und wohl mitverursacht in den arktischen Gemeinschaften, denen noch immer die Möglichkeit fehlt, entstehenden Müll einer fachgerechten Entsorgung zuzuführen. 

Die Fischerei wurde als einer der Hauptverursacher für die Plastikverschmutzung im Arktischen Ozean und an dessen Küsten identifiziert. Sie trägt zu etwa 30 Prozent des an Stränden angespülten Mülls bei. Häufig werden beschädigte Segmente von Netzen ausgeschnitten, über Bord geworfen und treiben für Jahre und Jahrzehnte als Geisternetze im Ozean. Wesentlich kleiner, aber ebenfalls ein regelmäßiger Fund an den Küsten sind die sogenannten Cut-offs — Schnittreste von Netzen, die beim Reparieren übrig bleiben und offenbar beim Reinigen des Decks über Bord gehen.

Als eine der Lösungen gegen Geisternetze wurde das Markieren von Netzen vorgestellt, wie es die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO, Food and Agriculture Organization of the United Nations) vorschlägt. Demnach sollte weltweit jedes Fanggerät registriert werden, um es eindeutig seinem Besitzer zuordnen zu können. 

Darüberhinaus «müssen die Fischer sensibilisiert und beispielsweise für eine bessere Abfallentsorgung geschult werden», so Magnús Jóhannesson. Passend dazu präsentierten Lise Maria Strømqvist vom Norwegian Centre against Marine Litter MARFO und Olav Lekve von der Norwegischen Fischereidirektion zu Beginn des Symposiums eine Möglichkeit, wie private und kommerzielle Fischer zum Umdenken bewegt werden können:

«Fütterst du das Plastikmonster?»

Küstensäuberungsaktionen,  die in der Arktis jedes Jahr tonnenweise die angespülten Zeugnisse menschlichen Miss-Handelns beseitigen, wurden als wirksames Mittel der Bewusstseinsstärkung vorgestellt. Auch Touristen, die meist mit Expeditionsschiffen die Arktis bereisen, werden häufig in Cleanups mit einbezogen. Ihnen sollen ab der kommenden Arktissaison 2024 umfassende Informationen zur Plastikverschmutzung in der Arktis bereitgestellt werden. Hierzu haben die AECO (Association of Arctic Cruise Operators / Vereinigung der Anbieter von Expeditionsreisen in der Arktis), Leeways marine und mountain2ocean in Zusammenarbeit mit PolarJournal einen «Marine Litter Toolkit for Arctic Expedition Guides» entwickelt, der die Verantwortung der Reisenden stärken soll.

Zu den wichtigsten Botschaften des Symposiums zählen:

  • Die Plastikverschmutzung verstößt gegen Menschenrechte, beeinträchtigt die traditionelle Lebensweise indigener Gemeinschaften, bedroht ihre Ernährungssicherheit und ihre Gesundheit.
  • Es liegen mittlerweile sehr viele Daten zur Plastik- und Mikroplastikverschmutzung in der arktischen Umwelt aus vielen verschiedenen Regionen vor. Häufig sind diese jedoch nicht direkt miteinander vergleichbar, weil unterschiedliche Methoden verwendet wurden. Daher sollen in Zukunft die angewendeten Methoden «harmonisiert», also vereinheitlicht werden, um vergleichbare Ergebnisse zu erlangen, nicht zuletzt für die Argumentation mit Interessenvertretern und Entscheidungsträgern.
  • Internationale Zusammenarbeit auf wissenschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Ebene ist dringend erforderlich, damit die wirksame Eindämmung der Plastikflut gelingen kann. 
  • Sowohl lokale als auch globale Anstrengungen sind gefragt, wobei in jedem Fall das Wissen und die Erfahrung indigener und lokaler Gemeinschaften einfließen und auch kulturelle und soziale Aspekte nicht außer Acht gelassen werden sollen.
  • Wir werden es nicht schaffen, uns aus der Plastikkrise «heraus zu recyclen». Stattdessen muss die Verschmutzung an der Quelle gestoppt werden.
  • Ein rechtlich verbindlicher Rahmen, wie der für Ende 2024 geplante Global Plastics Treaty (Globaler Plastikvertrag), ist unerlässlich, um Staaten, Industrien und Wirtschaft zur entsprechenden Verbesserung von Praktiken zu verpflichten und Natur und Umwelt vor Schäden durch Plastikmüll zu bewahren.
  • Für die Entwicklung wirksamer Strategien und Lösungen ist es von großer Bedeutung, dass Vertreter der Industrie, z.B. der Fischerei, bei zukünftigen Konferenzen zur Eindämmung der Plastikverschmutzung in der Arktis einen konstruktiven Beitrag leisten.

«Was ich an dem Symposium so großartig finde, ist, dass es die verschiedenen Interessengruppen zusammenbringt und einige der Methoden und Lösungen für die Arktis aufzeigt. Aber es zeigt auch, dass es einen Bedarf an globalen Maßnahmen gibt», sagte Dr. Thomas Maes, Consultant bei GRID-Arendal und Mitglied des Wissenschaftlichen Lenkungsausschusses des Symposiums, gegenüber PolarJournal.

In seinem Beitrag präsentierte Dr. Maes Antworten auf die Frage, wo all das Plastik verbleibt, das in die Umwelt gelangt: Zu einem großen Teil in einer aus Mikroplastik bestehenden «Plastikwolke» in der Wassersäule des globalen Ozeans, aus der die Partikel nur extrem langsam in Richtung Meeresboden sinken. Die Gleichung mit der Menge an Plastik, die in die Umwelt eingetragen wird, und der Menge, die in der Umwelt wiedergefunden wird, ging nämlich lange nicht auf.

Kristian Jensen vom Lofoten Council, links, und Dr. Thomas Maes von GRID-Arendal. Foto: Julia Hager

Kristian Jensen, der ursprünglich aus Südgrönland stammt und als Berater für Kommunikation im Lofoten Council in Norwegen tätig ist, äußerte im Gespräch mit PolarJournal: «Ich denke, dass es uns gelungen ist, das Problem viel konkreter zu machen und einen Fahrplan für die Lösung dieses Problems zu erstellen. Und es gibt einen kleinen Hoffnungsschimmer, denn ein Großteil der akademischen Beiträge zu diesem Symposium war auf einer Ebene angesiedelt, die einen Wandel in der Politik und eine hellere und optimistischere Zukunft herbeiführen muss, wenn wir zusammenarbeiten. Ich denke, der Schlüssel dazu ist die globale Zusammenarbeit. Und ich bin froh, dass ich hier war und mich ein wenig auf die Probleme der arktischen Völker konzentriert habe und darauf, dass das Plastikproblem eigentlich ein Menschenrechtsproblem für die Inuit des Nordens ist.»

Im vorletzten Teil des Symposiums diskutierten Guðlaugur Þór Þórðarson, isländischer Minister für Umwelt, Energie und Klima und Malcolm Noonan, irischer Minister of State im Department of Housing and Local Government, über individuelle und globale Verantwortung und Herausforderungen, die aus der Plastikverschmutzung und der Gefährdung der biologischen Vielfalt erwachsen. Die Minister betonten hierbei die Notwendigkeit politischer Entscheidungen.

Islands Premierministerin Katrin Jakobsdóttir. Foto: Julia Hager

Die Ansprache der isländischen Premierministerin setzte den Schlusspunkt unter das Symposium: Katrín Jakobsdóttir würdigte die jüngsten globalen Verhandlungen zur Bekämpfung der Plastikverschmutzung als Hoffnung gebend und äußerte sich zuversichtlich, dass bis zum 3. Symposium in zwei Jahren bereits Erfolge erzielt werden können, die aus den bisherigen Forschungsergebnissen und Erkenntnissen resultieren, getragen von politischer Handlungsbereitschaft. Jetzt zu handeln und weitere Auswirkungen zu verhindern, wäre mit weniger Kosten verbunden als abzuwarten und nichts zu tun.

Mit Blick auf das nächste Symposium im Jahr 2025 fügte Magnús Jóhannesson an: «Wir brauchen mehr Studien über die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Plastik in den Ozeanen. Es wäre schön, wenn wir auf dem nächsten Symposium einige Studien dazu sehen könnten.»

Julia Hager, PolarJournal

Link zur Webseite des Symposiums: https://www.arcticplastics.is/ 

Die Kurzpräsentationen sind öffentlich zugänglich und können unter https://www.arcticplastics.is/program, jeweils unter dem Namen der/des Vortragenden angeschaut werden.

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