Beobachtung, Ruhe und Verdauung: Rentiergeheimnisse für die Ewigkeit | Polarjournal
Von einer Jahreszeit zur anderen sind die Veränderungen in der Arktis extrem, was zu erheblichen Veränderungen der Aktivität und des Nahrungsverbrauchs bei Rentieren führt. Bild: Leo Rescia

Um gegen die Kälte anzukämpfen, braucht man Kalorien, und die Rentiere müssen so hart arbeiten, um Energie für den Winter zu speichern, dass sie im Sommer wiederkäuend schlafen müssen. Im Winter ist jede Art von Flechten willkommen, vor allem Cladonia rangiferina, deren Farben sich vom Schnee unterscheiden, wenn sie ultraviolettem Licht ausgesetzt werden.

Üppige Vegetation, konstantes Tageslicht – im Sommer fressen die Rentiere in der Arktis ununterbrochen und kauen viel länger als im Winter. Ein norwegisch-schweizerisches Team unter der Leitung von Melanie Furrer, Neurologin an der Universität Zürich, beobachtete sie genau und fand heraus, dass die Tiere in eine besondere Schlafphase eintreten, wenn sie anfangen wiederzukäuen. Diese Ergebnisse wurden am 22. Dezember in Current Biology veröffentlicht.

Um die Ruhestrategie der Rentiere zu verstehen, zeichneten die Forscher die Gehirnaktivität von Rangifer tarandus tarandus, dem Europäischen Rentier (das auch auf dem Kerguelen-Archipel vorkommt), auf. Das Experiment fand in Tromsø in einem Stall statt, in dem das Team die Lichtintensität kontrollierte und reichlich Futter bereitstellte. Die Rentiere waren allesamt Weibchen einer Herde von Zuchttieren, die frei herumliefen. Die Wissenschaftler beobachteten daher ihre Elektroenzephalogramme während der Herbst-Tagundnachtgleiche und anschließend während der Winter- und Sommersonnenwende.

Während des Wiederkäuens war die Form der Gehirnwellen der des ruhigen Schlafs (NREM) sehr ähnlich, d. h. einer Phase „nicht schneller“ Augenbewegungen. Sie unterscheidet sich vom REM-Schlaf – dem Schlaf, in dem wir träumen und sich die Augen schnell bewegen. Durch die Interpretation dieser Gehirnwellen legen die Biologen also nahe, dass die Tiere nach dem Wiederkäuen auch geruht haben und somit die Fähigkeit hätten, beide Aufgaben gleichzeitig zu erledigen.

Die Tiere wurden mit Weiden- und Birkenzweigen samt Blättern je nach Jahreszeit sowie einer Mischung aus Flechten gefüttert. Bild: Furrer et al. / Current Biology

Rentiere, die in der Arktis leben, haben im Sommer keinen zirkadianen Rhythmus, d. h. einen 24-Stunden-Zyklus, der vom Schlafen zum Wachen übergeht, und schlafen daher beim Wiederkäuen. „Wir glauben, dass es sehr wichtig ist, dass sie ihren Schlaf- und Verdauungsbedarf gleichzeitig decken können, vor allem in den Sommermonaten“, erklärt die Forscherin. Durch das Wiederkäuen wird die Nährstoffaufnahme erhöht. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass die Rentiere im Sommer lange genug wiederkäuen, um für den Winter an Gewicht zuzunehmen.“

Eine Landschaft in Ultraviolett

Im Winter ist das Futter knapp und – aus einem Grund, der bis zum 15. Dezember letzten Jahres unbekannt blieb – die goldenen Augen der Rentiere werden hellblau. „Wenn die Farbe des Lichts in der Umgebung hauptsächlich blau ist, ist es logisch, dass das Auge die blaue Farbe betont, um sicherzustellen, dass die Photorezeptoren des Rentiers diese Wellenlängen maximieren“, erklärt Nathaniel Dominy, Evolutionsbiologe an der Universität Dartmouth und Erstautor einer Studie, die in der Zeitschrift i-Perception veröffentlicht wurde.

Einige Flechten heben sich vom weißen Hintergrund ab, wenn man das von der Landschaft abgestrahlte ultraviolette Licht auswählt. Bild: Nathaniel Dominy

Das schottische Forscherteam, das diese Entdeckung machte, ging noch einen Schritt weiter. Sie untersuchten das ultraviolette Licht, das von Flechten wie Cladonia rangiferina – einer beliebten Winterspeise für Rentiere – ausgestrahlt wird. Diese Flechten sind für das menschliche Auge weiß und im Schnee unsichtbar, aber im Gegensatz zum Schnee absorbieren sie ultraviolettes Licht. Bei diesen Wellenlängen, für die Rentiere empfindlich sind, erscheinen Schnee und Flechten in der Polarnacht also hell und dunkel. Eine gute Möglichkeit, sie zu unterscheiden.

Camille Lin, PolarJournal

Link zu den Studien :

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