Ein Forschungsteam entwickelte ein neuartiges Deep Learning-Modell, das es ermöglichte, einen hochauflösenden Datensatz von 149 Gezeitengletschern auf Svalbard zu erstellen, um den Eisverlust an deren Kalbungsfronten zu verfolgen.
Svalbard gehört zu den Regionen, die sich um ein Vielfaches schneller erwärmen als der Rest der Welt. Die schnell steigenden Temperaturen setzen vor allem den Gletschern zu, die rasant an Masse verlieren. Bisher wurden allerdings die Mechanismen hinter dem Eisverlust noch nicht richtig verstanden, insbesondere die Kalbungsdynamik der Gezeitengletscher.
In Earth System Science Data veröffentlichte ein Forschungsteam der University of Bristol und der Technischen Universität München am 20. Februar diesen Jahres einen einzigartigen Datensatz, der knapp 125.000 Satellitenbilder umfasst und die Positionen der Kalbungsfronten von 149 Gezeitengletschern auf Svalbard im Zeitraum von 1985 bis 2023 sichtbar macht — ein wichtiges Instrument für die Forschenden, um die noch offenen Fragen zum Kalben von Gletschern beantworten zu können.
In einer Pressemitteilung des EU-Projekts Arctic PASSION sagt Dr. Tian Li, Forscherin am Bristol Glaciology Centre und Hauptautorin der Studie, dass «dieser Datensatz verwendet werden kann, um die Massenbilanz der Svalbard-Gezeitengletscher zu verbessern. Außerdem ermöglicht er die Erforschung der Faktoren und Prozesse, die das Kalben von Gletschern steuern. Dies ist entscheidend für das Verständnis der Kalbungsdynamik, die ein Schlüsselindikator dafür ist, wie Gletscher auf den Klimawandel reagieren.»
Anhand des äußerst umfangreichen Satellitendatenkatalogs ermittelten die Forschenden in einem automatisierten Prozess mit Deep Learning und neuronalen Netzen die jahreszeitlichen und jährlichen Schwankungen der Kalbungsfront mit einer durchschnittlichen zeitlichen Auflösung von nur vier Tagen.
Abgesehen von einer Handvoll Gletschern auf Nordaustlandet — die zweitgrößte Insel Svalbards, die im Nordosten von Spitzbergen liegt —, ziehen sich alle untersuchten Gletscher zurück mit einem beschleunigten Massenverlust in den letzten Jahrzehnten.
Darüberhinaus identifizierte das Forschungsteam auch sogenannte «Surging Events», bei denen ein Gletscher innerhalb eines kurzen Zeitraums schneller fließt und somit mehr Eis an seiner Front verloren geht.
In früheren Studien wurde der Eisverlust an den Gletscherfronten meist nicht berücksichtigt, da schlicht die Daten dazu fehlten. Der neu entwickelte Datensatz ermöglicht es nun, den künftigen Gletscherschwund in der Arktis besser zu verstehen und zu prognostizieren, was für die Vorhersage des künftigen Meeresspiegelanstiegs entscheidend ist. Das Forschungsteam plant, die neue Methode für alle Gezeitengletscher in der Arktis anzuwenden.
Das Forschungsteam entwickelte den neuartigen und hochmodernen Datensatz im Rahmen des EU-Projekts Arctic PASSION, das darauf abzielt, ein pan-arktisches Beobachtungssystem für die wichtigsten Klimavariablen der arktischen Kryosphäre zu erstellen.
Julia Hager, Polar Journal AG