Dringender Aufruf am Treffen der Antarktisvertragsstaaten wegen Meeresspiegelanstieg | Polarjournal
Der Thwaites-Gletscher ist für den Westantarktischen Eisschild wie ein Korken in der Flasche. Sein Abschmelzen würde eine Katastrophe für tief liegende Küstengebiete und kleine Inseln bedeuten (Foto: David Vaughan)

Kleine Inseln und niedrig gelegene Länder, die vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht sind, nehmen derzeit an der Konsultativtagung zum Antarktisvertrag in Helsinki teil, um sofortige Maßnahmen zur Abwendung einer drohenden Katastrophe zu fordern

Vertreter von Ländern, die nicht dem Antarktisvertrag angehören, wie z.B. Mexiko, sind bis zum 8. Juni in Helsinki, um an der jährlichen Sitzung der beratenden Parteien des Antarktisvertrags (ATCM) teilzunehmen. Diese Länder haben den Vertrag nicht unterzeichnet, sind aber gekommen, um ihre Besorgnis über die Auswirkungen der immer schneller werdenden Klimaerwärmung auf den antarktischen Eisschild und die Folgen des schmelzenden Eises für niedrig gelegene Länder und kleine Inselstaaten zu unterstreichen.

„Eine wachsende Zahl von Studien, die im vergangenen Jahr veröffentlicht wurden, kommen übereinstimmend zu dem Schluss, dass Temperaturen zwischen 1,5°C und 1,8°C eine kritische Schwelle für den irreversiblen Verlust von Teilen des Eisschildes darstellen, insbesondere des westantarktischen Eisschildes, aber auch von Teilen der Ostantarktis“, so Lydie Lescarmontier, Antarktis-Direktorin der International Cryosphere Climate Initiative. Allein der westantarktische Eisschild (WAIS) birgt einen potenziellen Meeresspiegelanstieg von vier Metern, was laut Dr. Lescarmontier ausreichen würde, um lebenswichtige Küstenlinien in vielen tief liegenden Ländern zu zerstören.

Die Konsultativtagung zum Antarktisvertrag (hier in Paris im Jahr 2021) ist die größte Versammlung für antarktische Angelegenheiten. Dieses Jahr findet das Treffen in Helsinki statt (Foto: Cats)

Das jährlich stattfindende Treffen ATCM (Antarctic Treaty Consultative Meeting) wird abwechselnd von einem der 27 beratenden Mitglieder ausgerichtet und von den beratenden Nationen des Antarktisvertrags besucht, die in der Region bedeutende Forschung betreiben. Im Mittelpunkt der Treffen stehen traditionell die Forschungszusammenarbeit und das Management menschlicher Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Schutz der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme der Antarktis.

Bisher wurde der Klimawandel vor allem im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Antarktis und den Südlichen Ozean diskutiert. Mittlerweile aber wächst das Bewusstsein, dass die größten menschlichen Folgen der Klimaveränderungen in der Antarktis nicht von den kleinen Forschungs- und Tourismusgemeinschaften auf dem Kontinent zu spüren sein werden, sondern von Millionen gefährdeter Menschen in tief gelegenen Ländern und Regionen rund um den Globus.

Zum ersten Mal seit der Unterzeichnung des Antarktisvertrags im Jahr 1961 wird ein ganzer Tag des 12-tägigen Treffens dem Klimaschutz gewidmet sein. Die finnische Regierung hat eine ungewöhnliche gemeinsame Plenarsitzung der ATCM und des mit ihr verbundenen wissenschaftlichen Gremiums, des Ausschusses für Umweltschutz, organisiert, um die Herausforderungen des Klimawandels zu diskutieren. Am Vorabend des Klimaaktionstages lädt die hochrangige Gruppe Ambition on Melting Ice (AMI), die von einer Gruppe von 20 Ministern am Klimagipfel COP27 in Ägypten im vergangenen Jahr ins Leben gerufen wurde, zum Thema „Meeresspiegelanstieg und Wasserressourcen in Gebirgen“ Delegierte und Interessierte dazu ein, führende Wissenschaftler zu hören. Darunter ist auch Tim Naish, Hauptautor beim Klimabericht des Weltklimarates IPCC und Co-Leiter des Programms „Instabilities and Thresholds in Antarctica“ (Instant) des Wissenschaftlichen Ausschusses für Antarktisforschung (Scar), der sich mit dem künftigen Meeresspiegelanstieg in der Antarktis befasst. Er und weitere Teilnehmer werden über solche wichtigen und drohenden Schwellenwerte diskutieren.

Der neuseeländische Glaziologe und Klimawissenschaftler Dr. Tim Naish (links) wird die WMO auf der Tagung vertreten. Die französische Glaziologin und ICCI-Antarktis-Direktorin Dr. Lydie Lescarmontier (rechts) wird wissenschaftliche Informationen über die Auswirkungen der Ozeanversauerung im Südlichen Ozean, dem anderen Kohlendioxid-Problem, das mit dem Klimawandel zusammenhängt, vorstellen. (Fotos, l-r: Realitylink; Twitter)

Die Weltorganisation für Meteorologie WMO, die Dr. Naish auf der Tagung in Helsinki vertreten wird, kündigte diese Woche an, dass sie die Kryosphäre zu einer ihrer obersten Prioritäten erheben wird. Dies, weil sich das schwindende Meereis, die schmelzenden Gletscher, Eisschilde, Permafrostböden und das Verschwinden des Schnees immer gefährlicher auf den Anstieg des Meeresspiegels, wasserbedingte Gefahren und die Sicherheit der Wasserversorgung, der Wirtschaft und der Ökosysteme auswirken.

Dr. Lescarmontier wird die neuesten Informationen über die globalen Folgen der Versauerung des Südlichen Ozeans vorstellen, die erhebliche Auswirkungen auf die Fischerei und die Ernährungssicherheit hat. „Atmosphärische CO2-Konzentrationen von 450 ppm werden seit langem als ernsthafte Schwelle für diese Veränderungen angesehen, die 30 bis 70.000 Jahre andauern werden“, sagt sie. „Unser derzeitiges CO2-Wachstum wird dazu führen, dass wir diese Marke in nur 11 Jahren überschreiten.

Der Schutz der Kryosphäre durch energische Klimaschutzmaßnahmen ist nicht nur eine Angelegenheit der Gebirgs- und Polarnationen, sondern ein dringendes globales Anliegen, denn die größten Auswirkungen auf menschliche Gemeinschaften liegen weit außerhalb dieser Regionen

Ambition on Ice oder Ehrgeiz auf Eis

Die Gruppe „Ambition on Ice“ AMI umfasst nicht nur die Polar- und Gebirgsländer, sondern auch andere, weit davon entfernte Nationen, für die der Anstieg des Meeresspiegels oder der Verlust von Wasserressourcen aus Gletschern und Schnee eine Katastrophe darstellen. Mexiko beispielsweise wird durch den Verlust des antarktischen Eisschildes stark betroffen sein: Ein Großteil der Küste der Halbinsel Yucatan, darunter zwei Unesco-Welterbestätten und die Touristenregion Cancún, würde ausgelöscht, wenn der Westantarktische Eisschild vollständig abschmelzen würde. Monrovia, die Hauptstadt von Liberia, würde bereits bei einem Anstieg des Meeresspiegels um zwei Meter verschwinden. Die AMI-Mitglieder Vanuatu, Senegal und Tansania müssten ihre Küstenlinien neu zeichnen, wenn der Eisschild kollabieren würde.

„Der Schutz der Kryosphäre durch energische Klimaschutzmaßnahmen ist nicht nur eine Angelegenheit der Gebirgs- und Polarnationen, sondern ein dringendes globales Anliegen, da die größten Auswirkungen auf menschliche Gemeinschaften weit außerhalb dieser Regionen liegen“, schreiben die AMI-Partner in ihrer Erklärung.

„Es ist eine Frage der internationalen und generationenübergreifenden Gerechtigkeit, das antarktische Eis gefroren zu halten, umgeben von einem gesunden Südpolarmeer“, sagte Dr. Lescarmontier. Obwohl die Länder nicht formell Teil des Antarktisvertrags sind, stellen die globalen Auswirkungen der Antarktis eine wichtige Botschaft für die Regierungen der ATCM dar, fügte sie hinzu. „Das Ziel ist es, die Bedeutung der Antarktis hervorzuheben, um Emissionsreduzierungen zu motivieren, die mit dem unteren Limit des Pariser Abkommens von 1,5°C und mit minimaler Überschreitung vereinbar sind, um zu vermeiden, dass immer größere Teile dieses schlafenden Riesen geweckt werden.“

Dr. Irene Quaile-Kersken für Ambition on Ice und der International Cryosphere Climate Initiative

Beitragsbild: Thwaites Glacier Front von David Vaughan

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