PFAS-Verschmutzung trifft die Bevölkerung Ostgrönlands hart | Polarjournal
Das Schild der ostgrönländischen Gemeinde Ittoqqotoormiit heisst nicht nur Besucher Willkommen. Auch ungebetene Gäste wie PFAS finden mittlerweile den Weg in die Bewohner, und zwar buchstäblich. (Foto: Michael Wenger)

Die aus den Medien als «ewige Chemikalien» bekannten Polyfluoroalklystoffe (PFAS) haben mittlerweile wie Mikroplastik praktisch alle Regionen der Erde erreicht. Eine Studie zeigt nun, dass auch die Bewohner der von allen industriellen Regionen entfernten ostgrönländischen Gemeinde Ittoqqotoormiit betroffen sind und zwar in einem alarmierenden Mass.

Mehr als 90 Prozent der rund 350 Einwohner tragen Konzentrationen von PFAS in ihrem Blut, weit über den von europäischen Behörden festgelegten Grenzwerten liegen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass rund 86 Prozent sogar in der höchsten Kategorie liegen. Das bedeutet nach Angaben der Forschungsgruppe, dass diese Bewohner einem massiven Risiko für schwere Schädigungen des Immunsystems ausgesetzt sind. Ausserdem besteht die Gefahr, schneller an kardiovaskulären Problemen oder Krebs zu erkranken und ein vermindertes Fortpflanzungspotential aufzuweisen.

Insgesamt liegt die Gemeinde im direkten Vergleich mit anderen Ländern in Europa, Afrika und Südostasien mit einem Durchschnittswert von über 164 ng PFAS pro Milliliter Blut einsam an der Spitze. Die Studie erschien in der neuen Ausgabe der Fachzeitschrift The Lancet Planetary Health.

Die von Professor Christian Sonne von der dänischen Aarhus Universität geleitete Studie ging der Frage nach, ob und wie sich eine langfristige Aufnahme von PFAS durch den Verzehr von arktischen Meeressäugern wie Eisbären und Robben in der Bevölkerung manifestiert. Ausserdem wollte das Team herausfinden, wie hoch das Risiko von gesundheitlichen Schäden im globalen Vergleich liegt. Dazu befragten die Autorinnen und Autoren in Ittoqqotoormiit verschiedene Bevölkerungsgruppen, die teilweise oder ganz von der Jagd leben. Ausserdem wurden Blutproben entnommen und die Konzentrationen von PFAS im Blutserum analysiert und mit der Literatur verglichen.

Die Ergebnisse der Vergleiche überraschte das Autorenteam, denn es zeigte, dass die Bewohner der ostgrönländischen Siedlung zum überwiegenden Teil Werte aufwiesen, die als schwer gesundheitsschädigend gelten. Der von der europäischen Behörde für Nahrungsmittelsicherheit EFSA als tolerierbar festgelegte Wert von 4.4 ng PFAS, der pro Woche aufgenommen werden darf, wurde zwischen um das 7- bis 130-fache überschritten. Weitere Vergleiche zeigten, dass neben Ostgrönland auch die Bewohner des restlichen Landes, der Färöer und Dänemarks stark erhöhte Werte aufweisen, jedoch um das 5- bis 6-fach unter dem ostgrönländischen Durchschnittswert. Doch als Folge davon, so das Autorenteam, können beispielsweise reduzierte Immunreaktionen bei Impfungen auftreten können oder Menschen anfälliger auf Krankheiten und Infektionen werden.

Der Grund für die übermässigen Werte sieht das Autorenteam in der traditionellen Lebensweise der grönländischen Bevölkerung, bei der Robben und andere Meeressäuger eine wichtige Rolle bei der Ernährung spielen. (Foto: Michael Wenger)

Die Resultate der Studie überraschen zwar einerseits, als dass Ittoqqotoormiit weit abseits von allen industriellen Orten liegt. Doch frühere Studien haben gezeigt, dass diese «ewigen Chemikalien» auf verschiedensten Wegen in die Arktis gelangen und sich dort in Meeressäugern anreichern. Diese wiederum sind ein essentieller Teil der Ernährung der lokalen Bevölkerung.

Bisher waren die Auswirkungen auf die Bevölkerung jedoch nicht untersucht worden. Die Umweltchemikerin und stellvertretenden Abteilungsleiterin Dr. Hanna Joerss vom Helmholtz-Zentrum Hereon, die nicht Teil des Autorenteams war, erklärt dazu: «Der Artikel wird dadurch spannend, dass die bestimmten PFAS-Konzentrationen in Meeressäugern nicht nur assoziiert werden mit denen im Blut der Menschen, sondern dass die 4 EFSA-PFAS auch in Bezug gesetzt werden zu den tolerierbaren wöchentlichen Aufnahmemengen und damit eine Risikobewertung erfolgen kann. Die Resultate und der weltweite Vergleich verdeutlichen die enorm hohe Exposition der untersuchten Gruppe in Grönland.»

Und ihr Kollege Dr. Ralf Ebinghaus fügt an: «Durch die Kombination von Methoden und die sehr gute Veranschaulichung in Grafiken und Karten eignet sich der Artikel meiner Meinung nach gut, um auf politischer (und gesellschaftlicher) Ebene herauszustellen, warum internationaler Handlungsbedarf bei den PFAS besteht.»

Ein erster wichtiger Schritt wurde im Februar dieses Jahres gemacht, als die «Deklaration von Berlin» ins Leben gerufen wurde. Darin listen Expertinnen und Experten insgesamt zehn Elemente auf, die von den verschiedenen Stellen sofort unternommen werden können, um die Gefahr durch PFAS und andere chemische Stoffe in der Arktis zu reduzieren. Der Tenor der Deklaration ist klar: Massnahmen jetzt! Und die Ergebnisse der Studie von Professor Sonne und seinem Team unterstreicht diese Forderung.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Sonne et al (2023) Lancet Planet Health 7 Assessment of exposure to perfluorinated industrial substances and risk of immune suppression in Greenland and its global context: a mixed-methods study; doi.org/10.1016/S2542-5196(23)00106-7

Link zur Informationsseite über PFAS und die Deklaration von Berlin

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